Das Teekomplott - Ostfrieslandkrimi
Schuss war aus mindestens
fünfzehn Meter Entfernung abgegeben worden, vermutlich aus einem Gebüsch
heraus, das das Grundstück der Schepkers vom angrenzenden Weideland trennte.
Man hatte es also mit einem einigermaßen sicheren Schützen zu tun. Büttner
hatte zunächst gedacht, dass es nicht so sehr schwer sein konnte, diesen
Schützen zu überführen. Inzwischen aber wusste er, dass fast jeder Mann im Dorf
über einen Jagdschein und sehr häufig auch über eine Jagdwaffe verfügte. Hinzu
kamen noch einige Frauen. Und die meisten von ihnen waren gleichzeitig Mitglied
im Loppersumer Schützenverein. Prima. Er hatte also Anweisung gegeben, alle
Jagdwaffen sicherzustellen und zu überprüfen, ob aktuell damit geschossen
worden war. Zum Glück war wenigstens keine Jagdsaison, das hätte diese
Untersuchung schnell ad absurdum geführt. Problematisch würde es werden, wenn
der Täter gar nicht aus dem Dorf, sondern ganz woanders her kam. Dann hätte die
Polizei ein Problem. Aber davon ging Büttner nicht aus. Diese zwei Morde wiesen
eher auf interne Querelen hin. Und die gab es, wie er wusste, in diesem Ort ja
weiß Gott genug.
In seine Gedanken hinein sah
Büttner seinen Kollegen Hasenkrug auf sich zukommen. Er hatte sich ein wenig in
der Nachbarschaft umgehört. Irgendjemand musste doch schließlich am helllichten
Tag etwas bemerkt haben. Doch sah Hasenkrug nicht eben glücklich aus, wie
Büttner bemerkte, was kein gutes Zeichen war.
„Und, haben Sie den Täter
verhaftet?“, fragte Büttner und verzog das Gesicht.
„Nein“, antwortete Hasenkrug
schlecht gelaunt. „Hier will keiner etwas bemerkt haben. Weder einen Menschen,
der sich in der Nähe des Grundstücks herumgetrieben hat noch den Knall eines
Schusses. Nichts.“
„Vielleicht haben sie im
Kollektiv beschlossen, die alten Herren aus der Welt zu schaffen“, mutmaßte
Büttner und zuckte mit den Schultern. „Hat es alles schon gegeben.“
„Und wo soll das Motiv sein?“
„Keine Ahnung. Die leeren
Rentenkassen vielleicht“, frotzelte Büttner, „die Jungen haben keinen Bock
mehr, für die Alten zu schuften, oder so ähnlich.“
„Ein wenig weit hergeholt, finden
Sie nicht?“
„Doch. Aber wissen Sie was
Besseres?“
„Nein. Allerdings gehe ich nun
mehr denn je davon aus, dass die Lösung des Falles bei diesem Foto zu suchen
ist. Womöglich liegt das Motiv für die Morde gar nicht in der Gegenwart,
sondern in der Vergangenheit.“
„Nach sechzig Jahren nimmt jemand
Rache?“, fragte Büttner wenig überzeugt. „Das will mir nicht ganz einleuchten. Andererseits
sind die Reaktionen der älteren Menschen auf das Bild schon sehr seltsam. Aber
übersehen Sie bitte nicht, Hasenkrug, dass es hier im Dorf noch weitere Motive
gibt, wie Wachstumshormone und Bastarde. Das dürfen wir nicht aus den Augen
verlieren.“
„Ja, das schien beim Mord an
Lübbo Krayenborg wichtig. Gilt das aber auch für den Mord an Johann Schepker?
Da wurde doch in diese Richtung nie ein Verdacht geäußert.“
„Womöglich nur, weil wir nicht
danach gefragt haben. Schepker stand doch bisher gar nicht im Visier. Und wir
wissen inzwischen, dass Krayenborg und Schepker über Jahrzehnte hinweg beinahe
wie siamesische Zwillinge gelebt und gehandelt haben. Sie waren wie Arsch und
Hose. Sehr wahrscheinlich, dass die ganzen Geschichten, die Krayenborg mit seinen
Mitmenschen hatte, genauso gut auf Schepker zutreffen.“
Büttner schüttete den letzten
Rest Kaffee, der sich noch in seinem Alubecher befand, ins Blumenbeet und stand
mit einem lauten Stöhnen auf. Ihm ging es nach wie vor beschissen, und eine
Verkomplizierung des Falles konnte er jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Am
liebsten hätte er sich ins Bett gelegt und sich von seiner Frau liebevoll
pflegen lassen. Aber das konnte er dem Staatsanwalt und dem Polizeipräsidenten
schwerlich vermitteln. Also würde er jetzt hier weitermachen. Er hob die Hand
und klingelte an der Tür. Als eine völlig verheulte Edith Schepker öffnete,
sagte er: „Frau Schepker, wir würden gerne mal einen Blick in die Unterlagen
Ihres Mannes werfen.“
„In welche Unterlagen denn?“
„In alle. Vielleicht finden wir
da einen Hinweis, warum er hat sterben müssen.“ Er wandte sich an seinen
Assistenten: „Ich möchte, dass auch die Unterlagen von Lübbo Krayenborg
sichergestellt werden.“
„Aber da hatten wir doch schon
mal nachgesehen“, beschwerte sich Hasenkrug, der eine Menge unangenehme Arbeit
auf sich zukommen
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