Das Teekomplott - Ostfrieslandkrimi
sah.
„Oberflächlich, ja. Aber nun
haben wir es mit zwei Morden zu tun, die ganz offensichtlich in engem
Zusammenhang stehen. Da will ich nichts übersehen. Also, Hasenkrug, beordern
Sie bitte ein paar Leute zu den Krayenborgs. Sie sollen alle Ordner und
Schriftstücke mit aufs Revier nehmen.“
„Alle?“
„Alle. Und wir schauen uns hier
vor Ort mal um. Frau Schepker, wo bewahrte Ihr Mann seine Papiere auf?“
Die alte Frau bedeutete ihm, ihr
zu folgen und führte ihn in eine Art Arbeitszimmer, in dem ein Schreibtisch
stand, umringt von mehreren Regalen. Zu seinem Entsetzen standen diese Regale
voll mit Ordnern, und zahlreiche Zettel, Broschüren und Papiere stapelten sich
in scheinbar ungeordneten Haufen.
„Das sieht mehr aus als es ist“,
beruhigte ihn Edith Schepker, als sie seinen konsternierten Gesichtsausdruck
sah. „Mein Mann hat Briefmarken gesammelt, schon immer. Die meisten der Ordner
sind voll mit Marken.“ Sie deutete schniefend auf drei Regale. „Da finden Sie
zum Beispiel nichts anderes. Was sonst noch wichtig war, hat mein Mann erstmal
wochenlang auf dem Schreibtisch liegen lassen. In diesen Stapeln müssten Sie
also alles Aktuelle finden.“
Büttner bedankte sich und
ließ die frischgebackene Witwe, die in diesem Augenblick von neuerlichen
Weinkrämpfen heimgesucht wurde, ihrer Wege gehen. Er setzte sich auf den
bequemen Schreibtischstuhl, entdeckte eine große Lupe und sah im gleichen
Moment Johann Schepker vor sich, der sich, genau an diesem Platz, konzentriert
über einen Haufen Briefmarken beugte und diese eingehend mir dem
Vergrößerungsglas betrachtete. Was musste einen Menschen antreiben, zwei alte
Männer zu ermorden, fragte er sich. Wahrten sie womöglich ein wohl gehütetes
Geheimnis, das für jemanden gefährlich werden konnte, wenn es ans Licht kam?
Das klang ihm fast zu sehr nach Kriminalroman, als dass es hätte Realität sein
können. Oder handelte es sich hier um ein ganz profanes Motiv wie Hass, Neid,
Gier oder Eifersucht? Wobei er geneigt war, Letzteres auszuschließen. Die
Menschen, die jemanden im Liebeswahn umbrachten, waren seiner einschlägigen
Erfahrung nach deutlich jünger. Andererseits hatte er in seiner Zeit in Hamburg
mal einen Fall in einem noblen Seniorenheim gehabt, in dem es zahlreiche Witwen
aber nur einen Witwer gab. Da hatten tatsächlich drei Frauen ihr Leben lassen
müssen, weil sie vermeintlich in Konkurrenz zu der Mörderin um die Gunst des
begehrten Witwers buhlten. Auch das Motiv Eifersucht war also nicht mit
einhundertprozentiger Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
Büttner schnappte sich einen
ersten Stapel Zettel und blätterte ihn durch. Dabei nahm er sich die Zeit,
jedes der Schreiben zumindest kurz anzulesen, denn er wollte auch nicht den
kleinsten Hinweis übersehen. Schon nach kurzer Zeit hatte er einen umfassenden
Einblick darüber, welche Versicherungen Schepker wo abgeschlossen hatte, bei
welcher Bank er welche Verbindlichkeiten und welche Rechnungen er noch nicht
bezahlt hatte. Aber das interessierte ihn alles herzlich wenig. Was er suchte,
war ein Mordmotiv. Und das gaben diese Schreiben, die in jeder
Durchschnittsfamilie zu finden sein würden, nicht her. Bis auf eines
vielleicht, das zwar keinen eindeutigen Hinweis lieferte, aber zumindest
seltsam war. Dieser Zettel lag inmitten des Stapels, und auf ihm stand in
ungelenker Handschrift: Wag es bloß nicht oder du wirst es bereuen !
Schöner Mist, dachte Büttner und
fuhr sich mit beiden Händen durch sein lichtes Haar. Hätten sie nach dem Mord an
Lübbo Krayenborg eine andere Reihenfolge bei den Befragungen festgesetzt,
hätten sie von Johann Schepker vielleicht noch etwas über diesen Zettel
erfahren können. Dazu war es jetzt definitiv zu spät. Andererseits hätte er
nach dem ersten Mord ja auch zur Polizei kommen und mitteilen können, dass er
eine Drohung erhalten hatte. Das aber hatte er nicht getan. Warum? Aus Angst,
das nächste Opfer zu sein? Nun, das war er jetzt ja trotzdem geworden. Oder
hatte er vielleicht gewusst, von wem dieses Schreiben war, sich davon aber
nicht beeindrucken lassen, und vielleicht darauf bestanden, eine Aussage zu
machen und das dem Täter auch unmissverständlich mitgeteilt? Das allerdings
wäre nicht besonders clever gewesen. Und noch eine dritte Möglichkeit kam in
Betracht, nämlich dass dieser Drohbrief mit den Mordfällen gar nichts zu tun
hatte, sondern sich auf einen gänzlich anderen Sachverhalt bezog. Genau
genommen konnte er
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