Das Teekomplott - Ostfrieslandkrimi
es stünde ihnen gar nicht zu, sich dazu zu äußern. Die
Polizisten hatten die Wohnungen der beiden mit dem Gefühl verlassen, von einer
Gruppe betagter Herren an der Nase herum geführt zu werden. Aber wie sollten
sie ihnen beikommen? Solange sich nicht irgendwer fand, der bereit war, sich zu
der Geschichte von damals zu äußern, würden sie sich weiterhin im Dunkeln bewegen.
Inzwischen hatte Büttner eine
junge Praktikantin darauf angesetzt, in den Polizeiarchiven nach Akten und
Zeitungsartikeln aus den Jahren 1948 und -49 zu suchen, die gegebenenfalls
einen Hinweis auf die Todesumstände von Tammo Freerksen und Siebo Manninga
liefern konnten. Er versprach sich nicht wirklich viel von dieser Recherche,
aber irgendwo musste er ja schließlich ansetzen. Zumindest musste er solange
weitermachen, bis sein Bauchgefühl Entwarnung gab. Danach aber sah es zurzeit
nicht aus, eher wurde es mit jedem Tag und mit jedem Gespräch, das er führte,
alarmierender.
Als Büttner in Gedanken die Liste
der Verdächtigen noch mal durchging und nach Hinweisen suchte, die er bisher
womöglich übersehen hatte, setzte plötzlich das Glockengeläut wieder ein. Der
Gottesdienst war zuende. Schon wurden die Kirchentüren geöffnet, die
Menschenmenge, die draußen versammelt war, verstummte und machte eine Gasse
frei. Sechs junge Männer aus der Canhuser Nachbarschaft traten, den Sarg
geschultert, langsamen Schrittes in den Regen hinaus. Gleich hinter dem Sarg
liefen der Pastor und Fenna sowie deren Kinder. Nicht die kleinste Spur von
Trauer zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab. Vielmehr konnte Immo es sich
nicht verkneifen, auf die Uhr zu schauen, während sich seine Schwester Deike,
die Büttner bisher nur sehr flüchtig kennen gelernt hatte, irgendetwas in den
Mund schob und ihrer Schwester Kirsten einen amüsierten Blick zuwarf. Diese
schüttelte kurz den Kopf und ihr Gesicht verzog sich zu einem verhaltenen Grinsen.
Büttner und Hasenkrug schlossen
sich dem Trauerzug, der sich nun in Richtung des gleich neben der Kirche
liegenden Friedhofs aufmachte, als Letzte an. Als Büttners Blick die Fassade
eines Hauses hinaufwanderte, blieb sein Blick an drei kleinen Kindern hängen,
die kichernd und geifernd an einem der Fenster standen und immer wieder mit dem
Finger auf den Sarg zeigten. Hinter ihnen stand ein Mann und schaute dem Trauerzug mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck
hinterher. Als sein Blick dem von Büttner begegnete, schaute er für einen
kurzen Moment erschrocken drein und trat denn zurück, so dass der Polizist ihn
nicht mehr sehen konnte.
„Notieren Sie sich bitte, dass
wir den Bewohner dieses Hauses befragen müssen“, sagte Büttner mit leiser
Stimme zu seinem Assistenten und zeigte auf den roten Klinkerbau neben sich.
Hasenkrug schaute ihn
verständnislos an, während er seinen Schreibblock aus der Tasche zog und
versuchte, ihn so gut wie möglich vor dem in großen Tropfen herabfallenden Regen
zu schützen. „Warum das jetzt?“, fragte er.
„Ist so ein Gefühl.“
„Aha.“ Hasenkrug hatte gelernt,
in einem solchen Fall nicht mehr nachzufragen. Das Gefühl seines Chefs hatte
höchste Priorität. Und ihm, Hasenkrug, fiel keine einzige Gelegenheit ein, in
der sein Chef mit seinem Gefühl nicht recht behalten hatte. Also notierte er
sich Straßennamen und Hausnummer und schob den Block dann wieder in die Tasche
seines hellen Sommermantels zurück.
Die Spitze des Trauerzugs hatte
inzwischen die Grabstelle der Familie Krayenborg erreicht. Dem Ausmaß nach zu
urteilen, musste diese Grabstelle bereits mehreren Familienmitgliedern als
letzte Ruhestätte dienen. Büttner sah, wie sich die sechs Sargträger bemühten,
ihre Last einigermaßen erschütterungsfrei auf einem vorbereiteten Gestell über
dem offenen Grab zu platzieren – und vernahm im nächsten Augenblick einen so
durchdringenden Schrei, dass er unwillkürlich zusammenzuckte. Diesem Schrei folgten noch eine ganze Reihe weiterer und schließlich
geriet die ganze Trauergemeinde in Aufruhr.
„Polizei!“, rief Büttner und
versuchte gemeinsam mit Hasenkrug, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen,
die sich jetzt in einer dichten Traube Richtung Grab drängte. „Bitte machen Sie
den Weg frei! Lassen Sie uns bitte durch!“ Es gelang ihnen nur mit Mühe, sich
Gehör zu verschaffen, denn das anfängliche Gemurmel der Menschen war nun zu
einem dunklen Grollen angeschwollen, das immer wieder durch einzelne schrille
Rufe unterbrochen wurde. So dauerte
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