Das Testament der Götter
menschenleer.«
»Er wird es nicht lange bleiben; man will mich aufschlitzen. Komm, laufen wir davon!« Paser willigte in den Vorschlag ein. Toll vor Freude stürzte Brav sich in den Lauf. Der Hund wunderte sich über die geringe Ausdauer der beiden Männer, die schon etwa zehn Minuten später haltmachten, um wieder zu Atem zu kommen. »Sethi … bist du es wirklich?«
»So sehr du Paser bist! Eine kleine Anstrengung noch, und wir werden in Sicherheit sein.« Die beiden Männer und der Hund suchten Zuflucht in einem leeren Speicher am Ufer des Nils, weit entfernt von jenem Bereich, wo bewaffnete Wächter ihre Rundgänge machten.
»Ich hatte immer gehofft, wir würden uns bald wiedersehen, allerdings unter anderen Umständen.«
»Diese hier sind verflixt ergötzlich, das versichere ich dir! Ich bin soeben aus dem Gefängnis entflohen.«
»Die Große Schule der Schreiber von Memphis soll ein Gefängnis sein?«
»Ich wäre vor Langeweile gestorben.«
»Als du vor nun fünf Jahren das Dorf verlassen hast, wolltest du doch Schriftkundiger werden.«
»Ich hätte mir sonstwas ausgedacht, um die Stadt kennenzulernen. Das einzig Schmerzliche war, dich, meinen einzigen Freund, inmitten dieser Bauern zurückzulassen.«
»Waren wir dort denn nicht glücklich?« Sethi streckte sich auf dem Boden aus. »Wir hatten schöne Zeiten, da hast du recht … Doch wir sind erwachsen geworden! Sich im Dorf zu vergnügen, das wahre Leben zu leben, das war dort nicht möglich. Memphis ist stets mein Traum gewesen!«
»Hast du ihn denn verwirklicht?«
»Zu Anfang bin ich ungeduldig gewesen; lernen, arbeiten, lesen, schreiben, dem Unterricht zuhören, der den Geist öffnet, Kenntnis erlangen von allem, was es gibt, was der Schöpfer gestaltet hat, was Thot übertragen hat, vom Himmel mit seinen Gewalten, der Erde und ihrem Gehalt, was die Berge verstecken, was die Fluten tragen, was auf dem Rücken der Erde wächst {28} … Welch Verdruß! Zum Glück bin ich rasch ein häufiger Gast der Häuser des Bieres geworden.«
»Der Stätten von Ausschweifungen?«
»Sei kein Tugendprediger, Paser.«
»Du liebtest die Schriften mehr als ich.«
»Ach, die Bücher und die weisen Lebensregeln! Fünf Jahre liegt man mir nun schon damit in den Ohren. Wenn du willst, kann ich ebenfalls den Lehrer spielen: ›Liebe die Bücher wie deine Mutter, nichts übertrifft sie; die Bücher der Weisen sind deine Pyramiden, das Schreibzeug ist ihr Kind. Höre auf die Ratschläge weiserer Männer, als du es bist, lies ihre in den Büchern lebendig gebliebenen Worte; werde zu einem gebildeten Manne, sei weder faul noch müßig, lege das Wissen in dein Herz.‹ Habe ich den Merkspruch richtig aufgesagt?«
»Er ist herrlich.«
»Trugbilder für Blinde!«
»Was ist heute abend geschehen?« Sethi brach in Lachen aus. Der unruhige und umtriebige Knabe, der lustige Vogel des Dorfes, war ein Mann mit beeindruckenden Schultern geworden. Mit seinen langen, schwarzen Haaren, dem aufrichtigen Gesicht, dem offenen Blick und seinen großen Reden schien er von einem verzehrenden Feuer beseelt zu sein.
»Heute abend habe ich eine kleine Feier ausgerichtet.«
»In der Schule?«
»Ja, ja, in der Schule! Die meisten meiner Mitschüler sind blaß, trübselig und keine Persönlichkeiten; sie hatten es einmal nötig, Wein und Bier zu trinken, um ihre teuren Studien zu vergessen. Wir haben Musik gemacht, wir haben uns berauscht, wir haben erbrochen und gesungen! Die besten Schüler haben sich auf die Bäuche getrommelt und sich mit Blumenketten geschmückt.« Sethi richtete sich auf.
»Diese Belustigungen haben den Aufsehern mißfallen; sie sind mit Stöcken bei uns aufgetaucht. Ich habe mich verteidigt, aber meine Genossen haben mich verraten. Ich habe fliehen müssen.« Paser war niedergeschmettert. »Du wirst aus der Schule ausgeschlossen.«
»Um so besser! Ich bin nicht dazu geschaffen, Schreiber zu werden. Niemandem Schaden zuzufügen, niemandes Herz zu beschweren, andere nicht in Armut und Leid zu lassen … Ich überlasse diesen Wunschtraum den Weisen! Ich brenne darauf, ein Abenteuer zu erleben, Paser, ein großes Abenteuer!«
»Welches?«
»Ich weiß noch nicht … Doch, ich weiß schon: das Heer. Ich werde reisen und andere Länder, andere Völker entdecken.«
»Du wirst dein Leben wagen.«
»Es wird mir nur um so kostbarer sein, nach der Gefahr. Weshalb ein Dasein aufbauen, wenn der Tod es doch zerstören wird? Glaube mir, Paser, man muß Tag um Tag leben
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