Das Testament der Götter
um. Er wandte sich in Richtung eines noch im Aufbau befindlichen Viertels. Alte, baufällige Verwaltungsgebäude waren dort abgerissen worden; eine Anhäufung von Ziegeln versperrte die Straße. Der Zahnheilkundige umging einen Berg Trümmer und verschwand. Sethi kletterte hinauf, wobei er achtgab, keinen Stein herunterkullern zu lassen, der seine Anwesenheit verraten hätte. Oben angekommen, erspähte er ein Feuer, um das sich drei Männer, darunter Qadasch, versammelt hatten.
Unversehens nahmen sie ihre Überwürfe ab und standen nackt da, mit Ausnahme eines ledernen Futterals, das ihren Penis verhüllte; in ihr Haar steckten sie drei Federn. Dann, ein kurzes Wurfholz {37} in jeder Hand, begannen sie zu tanzen und täuschten dabei vor, sich anzugreifen. Qadaschs jüngere Gefährten beugten mit einem Mal die Knie und sprangen hoch, indem sie einen unmenschlichen Schrei ausstießen. Wenn er auch gewisse Mühe hatte, dem Takt zu folgen, bekundete der Zahnheilkundige doch beachtliche Begeisterung.
Der Tanz dauerte mehr als eine Stunde an; plötzlich nahm einer der Mitwirkenden das Lederfutteral ab und zeigte, sogleich von seinen Freunden nachgeahmt, seine Männlichkeit vor. Da Qadasch Zeichen von Müdigkeit äußerte, gaben sie ihm Palmwein zu trinken und zogen ihn dann erneut in einen tollen Reigen hinein.
Paser hatte Sethis Bericht mit der allergrößten Aufmerksamkeit gelauscht. »Sonderbar.«
»Du kennst die libyschen Bräuche nicht; diese Art von Feier ist ganz und gar bezeichnend.«
»Und ihr Zweck?«
»Männlichkeit, Fruchtbarkeit, Verführungskraft … Aus dem Tanz schöpfen sie neue Energien. Qadasch scheint diese jedoch nur schwer empfangen zu können.«
»Unser Zahnheilkundiger müßte sich demnach geschwächt fühlen.«
»Nach dem, was ich beobachtet habe, trifft das zu. Aber was ist ungesetzlich an seinem Verhalten?«
»Auf den ersten Blick nichts; aber er, der vorgibt, alle Fremden zu verabscheuen, vergißt keineswegs seine libyschen Wurzeln und vertieft sich in Bräuche, die die feine Gesellschaft, die seine Kundschaft ausmacht, heftig mißbilligen würde.«
»Bin ich denn wenigstens nützlich gewesen?«
»Unersetzlich.«
»Das nächste Mal, Richter Paser, laß mich einen Frauentanz auskundschaften.«
Voller Überzeugungskraft hatten Kem und der dienstbare Pavian Memphis und dessen Vorstädte in alle Richtungen durchstreift, um die vier Untergebenen des verschwundenen Oberaufsehers aufzufinden. Der Nubier hatte den Aufbruch des Gerichtsschreibers abgewartet, um sich dann mit dem Richter zu besprechen; Iarrot machte keinen sonderlich vertrauenerweckenden Eindruck auf ihn. Als der große Affe in das Amtszimmer trat, flüchtete Brav sich unter den Stuhl seines Herrn. »Schwierigkeiten, Kem?«
»Ich habe die Wohnorte herausbekommen.«
»Gewaltlos?«
»Nicht die leiseste Spur von Grobheit.«
»Ab morgen werden wir die vier Zeugen befragen.«
»Sie sind verschwunden.« Verblüfft legte Paser seinen Pinsel nieder. Er hatte sich nicht vorstellen können, den Deckel eines Kessels voller Rätsel anzuheben, nur weil er nicht so ohne weiteres ein gewöhnliches Verwaltungsschriftstück unterzeichnen wollte. »Keinerlei Fährten?«
»Zwei sind fortgezogen, um im Delta zu leben, zwei leben im thebanischen Bezirk. Ich habe die Namen der Ortschaften.«
»Bereitet Euren Reisebeutel vor.«
Paser wollte den Abend bei seinem Lehrmeister verbringen.
Als er sich dorthin begab, hatte er das Gefühl, verfolgt zu werden; er verlangsamte den Schritt, drehte sich zwei- oder dreimal um, sah jedoch den Mann nicht, den er erahnt zu haben glaubte. Zweifellos hatte er sich getäuscht.
Jetzt saß er Branir auf der Terrasse der blumengeschmückten Wohnung gegenüber, kostete das frische Bier und lauschte dem einschlummernden Atem der großen Stadt. Hier und da verrieten Lichter Nachtmenschen, die noch nicht schliefen, oder geschäftige Schreiber.
In Branirs Gegenwart hielt die Welt inne; Paser hätte diesen Augenblick gern wie ein Kleinod bewahrt, ihn zwischen seinen Händen festgehalten, um so zu verhindern, daß er sich in der Schwärze der Zeit auflöste. »Hat Neferet ihre neue Bestallung erhalten?«
»Noch nicht, aber das steht unmittelbar bevor. Sie bewohnt eine Kammer in der Schule der Heilkunde.«
»Wer entscheidet darüber?«
»Eine Versammlung von Praktikern, die der Oberste Arzt Neb-Amun leitet. Neferet wird dazu berufen werden, ein eher leichtes Amt zu bekleiden; die Schwierigkeit ihrer
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