Das Testament des Satans
ein kleines Kind, das flennt, weil es sich beim Spielen das Knie aufgeschlagen hat. »Entspann dich! Ich will dir nicht wehtun!«
Schmerz, nichts als Schmerz und Verzweiflung und Angst.
O Gott, was tut er mir an?
Blindwütig trete ich um mich und schmettere meinen Fuß so hart ich kann gegen eine Schulter.
Piccolet fällt schreiend auf die Knie, beugt sich vornüber und hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Arm. »Sie hat mir den Arm ausgerenkt! Tut das weh!«
Ein Dutzend Hände packen mich, zerren mich mit erbarmungslosem Schwung von Piccolet weg und reißen an meinem Hemd, das an der Schulter aufklafft. Eine Sturzflut von Flüchen ergießt sich über mich. Abelard tritt nach mir und trifft mich in die Seite – ich ringe keuchend nach Atem, als ein Hagel von Tritten und Schlägen auf mich niedergeht.
Ich werde in die Tiefe gerissen von einem Strudel, der jeden vernünftigen Gedanken mit sich in die Finsternis reißt.
Armageddon. Und ich mittendrin.
Corentin wirft dem stöhnenden Piccolet einen kurzen Blick zu, dann redet er weiter besänftigend auf mich ein: »Sei still, Alessandra. Sei ganz ruhig. Alles wird gut!«
Einige Mönche singen leise einen Psalm, der zum Ritual des Exorzismus gehört: »Gott wird sich erheben. Seine Feinde werden sich zerstreuen. Und die ihn hassen, werden fliehen vor seinem Angesicht.«
Gefangen in der Hölle! Mit lauter verrückt gewordenen Mönchen, die mich exorzieren wollen, weil sie mich für besessen halten! Und keine Möglichkeit, die Abtei zu verlassen!
»Wie Rauch auseinandergetrieben wird, so treibst du, o Herr, sie auseinander. Wie Wachs vor dem Feuer zerschmilzt, so werden die Gottlosen umkommen vor dem Angesicht Gottes.«
Verzweifelt hasche ich nach den letzten Funken von Vernunft, die Sturm und Wahn mit sich zu reißen drohen.
»Aber die Gerechten werden sich freuen. Sie werden frohlocken vor dem Angesicht Gottes und jubeln vor Freude.«
Corentin tritt vor mich, während die Fratres den Psalm singen. Ihre Dolche funkeln im Licht der Blitze. Er schlägt das Kreuzzeichen über mir. »Der Teufel ist herabgestiegen. Er ist zornig, da er weiß, dass ihm nur eine kurze Frist gegeben ist. Das erste Siegel ist zerbrochen. Armageddon ist nah.«
»Schwachsinn! Das Ganze ist eine perfide Inszenierung!«, ächze ich und werde sofort zum Schweigen gebracht.
Abelard schlägt mir hart ins Gesicht: »Halt den Mund!«
Corentin packt ihn an der Schulter. »Lass sie, Abelard. Es ist nicht sie , die da spricht. Sondern derjenige, der in ihr ist und sie in seiner Gewalt hat. Tritt zurück, es geht los.«
Yvain hebt die Arme und scheucht die Fratres, die mich nicht festhalten, zurück. Schulter an Schulter bilden sie einen Kreis um mich – Flucht unmöglich.
»Haltet sie fest!« Corentin tritt vor mich, nimmt mein Amulett und hält es mir vor die Augen, sodass ich den Gottesnamen erkennen kann. »Lies!«
»Nein!«
»Sprich den heiligen Namen aus!«
»Verreck doch!« Ich trete mit aller Kraft zu, aber er springt zurück und weicht mir aus, sodass ich ihn nicht treffe.
»Gepriesen sei der Herr, Tag für Tag! Er trägt uns. Er ist unsere Rettung. Gott ist ein Gott der Erlösung. Er führt uns heraus aus dem Tod.«
»Gestehe, dass du Frère Conan ermordet hast!«
»Das war ich nicht!«
»Na gut, du hast recht. Es war der Dämon in dir. Warum hat er dich gezwungen, es zu tun?«
»Ich war es nicht!« Er macht wirklich Ernst! »Du warst es!«
»Nein!«, brüllt er.
»Doch, du warst es!«
»Seht ihr, der Dämon spricht aus ihr!«
»Du warst es, Corentin!«
»Yvain?«
Der Prior tritt zu Corentin und gibt ihm mein Notizbuch.
Ich halte den Atem an. Ein lähmendes Gefühl der Ohnmacht überkommt mich. Ich kann mich gegen ihn nicht wehren. Je heftiger ich um mich schlage, je lauter ich schreie, je mehr ich tobe, desto besessener bin ich doch! Gott verfluche diesen perfiden Mistkerl – die Falle war seit Monaten vorbereitet!
Ich bin gefangen. In der Hölle eines sich immer mehr ausweitenden und steigernden Wahns. Die Feuer der Angst und des Zorns sind seit Monaten geschürt worden. Sono pazzi questi frati – die Mönche sind völlig durchgeknallt …
Corentin schlägt das Büchlein auf und liest mit Donnerstimme vor: » Hoc est corpus meum et hic est sanguis meus qui diabolo sacrificantur … Dies ist mein Leib und das ist mein Blut, die dem Teufel geopfert werden …« Er macht eine dramatische Pause. »… von Alessandra! «
Das zornige Geschrei der Mönche und
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