Das Testament des Satans
traurig. Ich lehne den Kopf an die kalte Granitwand der Grotte und schließe die Augen. Die Truhe mit dem Testament des Satans steht neben mir. Ich atme tief durch.
Lebendig begraben.
Dem Tod näher als dem Leben.
Ob Padric und Robin glauben, ich sei mit Alessandra geflohen?
Robin wird nach England zurückkehren, Padric zu seiner Schwester Gwennlian nach Wales.
Heiße Tränen laufen mir über das Gesicht. Meine Gedanken verdichten sich zu Erinnerungen.
Ich denke an das Haus meines Vaters aus unbehauenen grauen Granitsteinen. Das Innere, ein großer Raum, erinnert an ein Schiff: jeder Fingerbreit Platz ist ausgenutzt. Die Möbel hat mein Vater aus gestrandeten Wrackteilen gezimmert. Der Tisch, an dem die ganze Familie zum Essen zusammensitzt, ist die Tür eines Schiffes. Die Bank davor, über die ich in mein Wandbett klettern musste, besteht aus Bootsplanken. Die Schiebetür meines Bettes ist die Lehne.
Wenn ich in meinen Erinnerungen durch das geliebte Haus gehe, in dem ich geboren wurde, begegne ich überall Rozenn. Sie steht am Herd, sie backt Brot, sie kocht Muscheln, Krabben und Hummer. Sie trägt den Korb mit den Fischen fürs Abendessen ins Haus, während eine Hand voll Katzen maunzend um sie herumspringt. Sie bessert meine Hosen aus und näht mir ein neues Hemd. Sie kommt hinters Haus und sieht mir zu, wie ich für meine Mutter neue Holzschuhe schnitze oder mein Boot kalfatere oder eine unserer Schnucken schlachte oder Pierric helfe, das Holz für das Signalfeuer auf den Leuchtturm zu schaffen. Sie sieht mir von den Klippen aus nach, wenn ich aufs Meer hinausfahre, um zu fischen. Sie geht mit mir zum Markt, wenn ich Werkzeug für das neue Boot kaufen will, das ich bauen möchte. Sie begleitet mich zum Grab meines Vaters, das leer bleibt, solange er auf See verschollen ist, und folgt mir in die kleine Kirche, um gemeinsam mit mir zu beten. Aber auch, um auf dem Rückweg mit mir zwischen den Granitfelsen der Klippen zu verschwinden. Im dichten, weichen Moos haben wir unsere schönsten Stunden verbracht …
Ich versuche zu beten, um ruhig zu werden, um mich auf Gott zu konzentrieren, aber meine aufgewühlten Gedanken kehren immer wieder zurück zu Rozenn.
Mein Herz kann nach all den Jahren keinen Frieden finden. In den ersten Monaten nach unserer Trennung haben mir die tiefen Augenblicke der Gnade und der Glückseligkeit, die nur die vollkommene Liebe einem Menschen bescheren kann, so sehr gefehlt, dass ich oft geweint habe.
Und dann kamen ihre traurigen Briefe. Ich habe um Kraft gebetet, nicht nachzulassen in meinem Glauben und meinem Vertrauen auf Gott.
Rozenn, meine Liebste, verzeih mir, dass ich keinen deiner Briefe beantwortet habe. Nicht den, in dem du mich angefleht hast, zu dir zurückzukehren. Nicht den, in dem du mir von der Geburt unserer Tochter berichtet hast. Und nicht den letzten.
Yann, mein Liebster,
das Meer war sehr ruhig heute Nacht. Am frühen Morgen bin ich aus dem Bett gekrochen, ohne Pierric aufzuwecken, habe Katarin einen zärtlichen Kuss von ihrem Papa gegeben, den sie noch nie gesehen hat, und bin in der Dämmerung zur Küste gegangen. Zur Steilklippe, wo ich dir am nächsten bin. Von dort sind es nur neunundneunzig Seemeilen bis zum Saint Michael’s Mount und bis zu dir.
Es ist fünf Uhr früh. Du betest jetzt die Laudes. Ich sitze auf den Felsen von Enez Eusa und blicke nach Norden, hinüber zu dir, aber ich kann kein Licht erkennen. Es ist finster, wo du bist.
Dein Schweigen tut mir weh, Yann.
Erinnerst du dich an unsere erste Nacht? Wir saßen auf diesem Felsen und sahen hinaus auf das tosende Meer, so wie ich jetzt. Wir schwiegen, unfähig, einander die überwältigenden Gefühle von Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Leidenschaft einzugestehen. Und dann hattest du die verrückte Idee, mitten in der Nacht im Meer zu schwimmen. Zuerst dachte ich enttäuscht, das ist es schon gewesen: keine zärtlichen Blicke mehr, keine verstohlenen Berührungen, kein verliebtes Getuschel, kein Kuss. Aber dann, als wir ausgelassen im Wasser herumtobten, erfasste uns eine Woge des Begehrens und riss uns mit sich fort. Wild und ungestüm liebten wir uns, wie das aufgewühlte Meer.
Yann, vor Gott bist du mein Mann. Und du bist Katarins Vater. Bitte komm zurück zu uns. Lass uns eine Familie sein. Lass uns glücklich sein. Ich werde mit Pierric reden. Ich werde ihm gestehen, dass Katarin nicht seine Tochter ist. Ich werde die Schuld auf mich nehmen und ihm sagen, dass ich dich verführt
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