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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Sturmböen an und starre hinunter zu meinem gestrandeten Boot mitten in einer Wüste aus nassem Sand.
    Ich verstehe sie so gut. Ich weiß genau, was sie empfindet. So war es für mich, als Rozenn starb. Worte können diesen Schmerz nicht ausdrücken, sie klingen zu pathetisch, viel zu sehr nach Selbstmitleid. Der Schmerz ist immer noch da, er ist kein grelles Lodern mehr, sondern nur noch ein Glühen, das irgendwann zu Eis erstarren wird, aber nach all den Jahren kann ich das Leid und die Schuld noch spüren.
    Ein verwundetes Herz heilt nur unter Qualen. Die Narben bleiben immer schmerzempfindlich.
    Ich habe den Tod gewählt, als ich ins Kloster ging, als ich meinen Vater und meine Mutter und meinen Bruder verließ, meinen Leuchtturm, das letzte Licht vor den unendlichen Weiten des Atlantiks, meine Insel Ouessant, ein Schiff aus Stein. Und Katarin, meine kleine Tochter, die ich noch nie gesehen habe. Ich habe den Tod gewählt, den Frieden und die Stille, und was Alessandra mir anvertraut hat, erschüttert mich zutiefst. Eine solche Liebe!
    Und trotzdem. Ungeachtet ihres eigenen Leides hatte sie die Kraft, sich mir anzuvertrauen.
    Am Anfang fiel mir das Sprechen schwer, denn das Schweigen ist oberstes Gebot in der Abtei. Das gesprochene Wort gilt als verpönt. Mit meinen Fratres verständige ich mich durch Handzeichen. Wenn ich mit Padric, Robin oder Conan reden will, ziehe ich sie am Ärmel und lege meinen Finger an die Lippen. Dann verschwinden wir in einer dunklen Nische, murmeln das rituelle ›Benedicte‹ – ›Dominus‹ und flüstern miteinander, doch nie mehr als nur ein paar Worte. Alessandra beherrscht die Zeichensprache, weil ihr Vater, der Inquisitor, ein Dominikanermönch war. Aber trotzdem wollte ich mit ihr reden, mich ihr anvertrauen, mit Worten meine Todesangst beschreiben und die in den letzten Wochen unterdrückten Gefühle aus mir herauslassen. Und sie hat meine Hand gehalten, obwohl sie weiß, dass ich sie nicht berühren, dass ich ihr nicht einmal in die Augen sehen darf. Mit gesenktem Blick hätte ich vor ihr stehen sollen, demütig, bescheiden, voller majestätischer Würde, die Hände unter dem Skapulier verschränkt. Wie ein Schattenriss an der Wand. Aber ich saß neben ihr, ihr Knie berührte meines, ihr langes dunkles Haar offen um ihre Schultern, während ich mir nach der Komplet alles von der Seele redete und sie mich ganz vertraulich Yannic nannte, als würden wir uns seit Jahren kennen – nicht Pater Yann oder Père Jean, wie es die Ordensregel gebietet, die keine derartigen Vertraulichkeiten zulässt. Yannic Créac’h, der Mann neben ihr, dessen Hand sie hielt, nicht der unnahbare Priester im schwarzen Benediktinerhabit.
    Der Blick, mit dem sie mich ansah, als ich von jener nebeligen Nacht sprach, war so voll von Wärme und aufrichtigem Mitgefühl, dass ich wegsehen und die Blumen anstarren musste, die ich ihr gebracht hatte. Alessandra trauert um ihren Freund Vittorino. Aber sie hat keine Angst. Und das bewundere ich an ihr. Diese Frau hat Chuzpe!
    In gewisser Weise wurden wir heute Nacht zu … Komplizen. Na ja, nicht ganz. Ich habe ihr Vittorinos Notizbuch nicht gegeben, dessen Geheimschrift ich zwar inzwischen sichtbar machen konnte, dessen Code ich jedoch noch immer nicht entschlüsseln kann.
    Ich ziehe meinen Dudelsack vom Schoß, dabei entweicht ihm ein klagender Ton, und lege ihn neben mir auf die Brüstung. Dann ziehe ich das Büchlein aus meinem Habit, um darin zu blättern.
    Kreise, Striche, Kreuze, Punkte – keine Schrift, die ich kenne, nicht Griechisch, nicht Hebräisch, nicht Arabisch. Und auch nicht die keltische Schrift, die nur aus gekreuzten Strichen und Punkten besteht und viel schlichter aussieht. Und doch erinnern einige der Zeichen an die Piktogramme auf den Menhiren in Carnac. Es ist ein Code, den ich auch mit Conans Hilfe nicht entschlüsseln kann. Conan kennt die meisten Cromlechs, riesige Kreise aus Menhiren, und viele Dolmengräber in Breizh, in der Bretagne, aber die seltsamen Hieroglyphen, die ich aus Vittorinos Notizbuch kopiert habe, kann auch mein Freund nicht lesen.
    Und am Ende der vorletzten Seite steht:
    H ARMAGEDON
    Was meinte Vittorino mit dem unheilvollen Wort, das er nicht verschlüsselte? Harmagedon, auf Französisch Armageddon, ist in der Apokalypse des Johannes der Ort der endzeitlichen Entscheidungsschlacht zwischen Gott und Satan, die auf einem Berg stattfinden soll.
    In welcher Sprache schrieb Vittorino seine Gedanken nieder, seine

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