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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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einen wiederauferstandenen Druiden.
    Vor vielen Jahren war er der Bibliothekar und Archivar der Abtei. Als sein langsames Sterben begann, legte er sein Amt nieder. Seit einigen Monaten ist Abelard sein Nachfolger.
    Le Coz leidet Höllenqualen, körperlich wie seelisch: hohes Fieber, plötzliche Ohnmachtsanfälle, spontane Blutungen, wie die Stigmata eines Gekreuzigten, unerträgliche Schmerzen und apokalyptische Visionen, die an Besessenheit grenzen und an epileptische Anfälle erinnern. Mitten in der Nacht schreckt er schreiend hoch und schlägt wie von Sinnen um sich. Oft führe ich ihn dann in die Kirche und ertrage seine rätselhaften und düsteren Predigten über das nahe Ende der Welt, bis er sich wieder beruhigt hat und Yvain oder Abelard ihn ins Bett bringen und festschnallen.
    Woran Le Coz leidet, hat bisher niemand herausgefunden. Der Infirmarius, der an der Sorbonne Medizin studiert hat, ringt nur verzweifelt die Hände. Und die Doctores, die er regelmäßig auf dem Festland aufsucht, zucken ratlos mit den Schultern. Gestern Morgen, als Alessandra in die Abtei kam, verschwand er in aller Stille nach Genêts oder Avranches. Yvain hat ihn ihr nicht vorgestellt, weil er, wie es scheint, schon fort war. Aber wann ist er zurückgekehrt? Ich habe ihn gar nicht übers Watt kommen sehen …
    Na, wie auch immer. Wir können Le Coz nur auf eine Weise helfen: Wir müssen ihn ertragen, wie er ist. Auch wenn er uns allen die Feuer der Hölle schürt.
    Ich deute auf den Platz neben ihm und gebe ihm zu verstehen, dass ich trotz des nächtlichen Schweigens mit ihm reden muss.
    Le Coz legt seine flache Hand auf den Stein. Ich darf mich neben ihn setzen. Er wird sein Schweigen für mich brechen.
    Ich atme tief durch. »Benedicte.«
    »Dominus«, beantwortet er den rituellen Gruß.
    »Ehrwürdiger Vater …«, beginne ich auf Brezhoneg, auf Bretonisch, doch ich zögere, denn er nestelt immer noch an der Gaze herum, die sein Gesicht verhüllt. »Bitte gestattet mir, Euch zu helfen.«
    »Yann …«
    Ich winke ab.
    Er lässt die Hände sinken und wendet mir das Gesicht zu. Mit wenigen Handgriffen habe ich den Verband wieder in Ordnung gebracht, ohne ihm Schmerzen zuzufügen.
    »Ich danke dir, Yann. Du bist der Einzige, der sich nicht scheut, mich zu berühren. Die anderen ekeln sich vor meiner Dämonenfratze. Aber du hast keine Angst.« Ich erahne ein Lächeln auf seinen aufgerissenen Lippen. Er setzt seine Maske auf und verschnürt sie unter seiner Kapuze. Dann legt er mir vertraulich die Hand auf den Arm und sieht mich an. »Du willst wissen, was heute Nacht vorgeht.«
    Ich nicke.
    Er senkt seine Stimme zu einem Flüstern, das ich im Tosen des Sturms kaum verstehen kann, und ergreift die ›Disziplin‹ für die Selbstgeißelung, die an seinem Gürtel befestigt ist. Er trägt sie immer bei sich. »Das Böse ist entfesselt, Yann, mein lieber Junge. Dein Freund Conan hat recht: Er ist hier. Padric hat ihn auch gesehen. Satan bemächtigt sich dieses Berges.«
    Ich starre ihn an. Hat er wieder eine seiner schrecklichen Visionen?
    Le Coz nestelt den Rosenkranz von meinem Gürtel, legt ihn mir in die Hand und schließt meine Finger darum, sodass nur das Abbild des Gekreuzigten hervorschaut. »An diaoul zo paotr mat pa vez graet e did dezhañ – der Teufel ist ein guter Mann, solange man ihm zu Willen ist. Sei wachsam, Yann: Satan geht um! Der Böse sucht sich Jünger«, flüstert er eindringlich, während er beunruhigt über seine Schulter blickt.
    Ich hebe die Augenbrauen.
    Das apokalyptische Donnergetöse des Gewittersturms über uns verleiht der Situation die angemessene Dramatik – Corentin de Sévérac sagt nur ein Wort:
    »Armageddon.«

Alessandra
Kapitel 23
    Vor dem verwilderten Klostergarten der Merveille
Kurz nach halb zwei Uhr nachts
    Ich stütze mich mit beiden Händen auf das morsche Gartentor und spähe in das Gärtchen. Die hohen Brennnesseln wogen im böigen Wind hin und her. Im Lodern der Blitze sehen sie aus wie ein tosendes Meer. Darüber peitschen die Zweige der Bäume. Ihre Umrisse heben sich schwarz vom Nachthimmel ab.
    Alles scheint lebendig zu sein, unheimlich und irgendwie feindselig. Das ständige Rauschen, Knistern und Knacken der Blätter und Zweige um mich herum ist entnervend. Hinter mir flattert das Pergament des zerborstenen Fensters im Wind.
    Ich packe den Griff meines Dolches fester und steige über das Tor in den Garten. Mit vorgestreckten Armen schiebe ich mich durch das dichte Gestrüpp auf

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