Das Testament des Satans
neben den Prior. Kein Zweifel, er ist der Assassino mit der Dämonenfratze. »Euer Gnaden, darf ich Euch Père Corentin de Sévérac vorstellen, den ehemaligen Bibliothekar unserer Abtei. Père Corentin – Contessa Colonna, Vikarin des Papstes.«
Der Assassino nickt mir höflich zu. »Che piacere! Come sta?«
»Benissimo, grazie!«, bedanke ich mich. »Ihr sprecht Italienisch, venerabile Padre – ehrwürdiger Vater?«
»Nur ein wenig«, winkt er ab. »Kaum ausreichend, um mich vor dreißig Jahren während des Konzils in Konstanz mit Eurem hochverehrten Vater zu unterhalten, Fra Luca d’Ascoli, Gott hab ihn selig, und an seiner großen Weisheit teilzuhaben. Ist es wahr, dass der Papst Fra Luca wegen seiner Verdienste um die Beendigung des Schismas heiligsprechen will?«
»Ja, das stimmt.«
»Und wann …«
»Nicht, solange ich es verhindern kann. Nicht, solange ich in den Konsistoriumssitzungen des Kardinalskollegiums mein Veto einlege und diesen Irrsinn verbiete. Seine Heiligkeit der Papst hat das Verfahren auf meinen Wunsch ausgesetzt. Zugegeben, mein Cousin, Kardinal Prospero Colonna, ist nicht begeistert, denn eine solche Heiligsprechung eines Mitglieds des mächtigen Colonna-Clans bedeutet ein immenses Ansehen. Aber auch er wird meine Entscheidung respektieren, wenn er im nächsten Konklave zum Pontifex gewählt wird.«
Für einen Moment ist er sprachlos.
»Der Prior sprach von einem Mord«, erinnere ich ihn mit fester Stimme und einer resoluten Selbstsicherheit, die ich nicht empfinde. Ich bin angespannt, und es fällt mir schwer, den Anschein zu erwecken, ich sei beherrscht und gelassen. Meine Finger, die unter dem Mantel den Griff meines Dolches umklammern, sind schweißnass.
Ich werfe einen Blick in die Runde. Da steht Robin neben Padric und beobachtet mich mit vorgereckter Unterlippe. Eoghan macht das auch, wenn ihm etwas nicht passt. Ob Robin sein Schwert unter dem Altar entdeckt hat?
»Äh, ja. Frère Conan ist ermordet worden.« Corentin rückt seine Ledermaske zurecht. »Die Umstände sind rätselhaft.«
Ich hebe die Augenbrauen.
»In Anbetracht der Tatsache, dass Euer Vater ein berühmter Inquisitor war und Ihr als seine Tochter …« Er stockt. »Was ich sagen will: Der Papst hat Euch vor zwei Jahren mit der Aufklärung eines mysteriösen Mordes im Lateran betraut. Ein Dominikaner schien nach einem Satanspakt vom Widersacher Gottes in Stücke gerissen worden zu sein. Eine zerfetzte Leiche, satanische Zeichen, ein Grimoire … Père Yann hat uns davon berichtet.« Corentin deutet auf Yannic, der inzwischen neben ihn getreten ist, und legt ihm die Hand auf den Arm.
Wie ein Vater seinem Sohn, schießt es mir durch den Kopf.
Ich starre Yannic an. Er weicht meinem Blick nicht aus. Er wirkt ernst, still und … ja, irgendwie traurig. Weil er sich nun doch gegen mich entschieden hat?
Was geht in dir vor, Yannic? Du bist mir ein Rätsel, das schwierigste und erschreckendste Rätsel von allen.
Corentin ergreift wieder das Wort. »Euer Gnaden, Ihr habt also Erfahrungen mit Todesfällen, in denen Satan selbst des Mordes verdächtig erscheint. Würdet Ihr uns mit Rat und Tat zur Seite stehen, um den Tod von Frère Conan aufzuklären? Die Montois werden in wenigen Stunden die Abtei besuchen, um mit uns den Gottesdienst zu feiern. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagt er eindringlich. »Wie es scheint, ist Satan in dieser Nacht auf den Mont zurückgekehrt. Das erste Siegel der Apokalypse ist zerbrochen. Und ich fürchte, das ist noch nicht das Ende.« Er senkt seine Stimme zu einem Flüstern. »Das zweite Siegel wirft schon seine Schatten drohend über uns …«
Das zweite Siegel
Und ich sah, als das Lamm das zweite von den
sieben Siegeln öffnete, ein feuerrotes Pferd.
Und dem, der darauf saß,
wurde gegeben, den Frieden von der Erde zu nehmen und die Menschen dahin zu bringen, dass sie einander schlachteten. Und ihm wurde ein großes Schwert gegeben.
Apokalypse des Johannes
Yannic
Kapitel 40
Auf der Plattform des eingestürzten Westflügels
Zwanzig vor drei Uhr nachts
»Versprich mir, dass du mir nicht in die Hölle folgst. Gib die Suche auf, Yannic. Sie führt dich ins Inferno deines Gewissens. Und in die Hölle von Tod und Verderben.«
Ich schlucke trocken und blicke auf Conans Leichnam hinab. Die heftigen Sturmböen zerren an ihm und lassen ihn aussehen, als lebe er noch, als atme er, als kämpfe er verzweifelt, als schlage er mit letzter Kraft um sich, um den Dämon abzuwehren,
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