Das Testament des Satans
Langsam gleitet er näher.
Alessandra lehnt sich gegen mich. Trotz des dicken Wollstoffs, aus dem mein Habit besteht, kann ich die Wärme ihres Körpers spüren. Das Pochen ihres Herzens. Verstohlen rieche ich an ihrem Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hat, und atme den Duft ein. Es fällt mir schwer, mich nicht zu bewegen. Ein warmes, erregendes Gefühl, das ich lange mit der Geißel niedergerungen habe, strömt durch meinen Körper und sammelt sich heiß in meinen Lenden.
Die Glut ist noch nicht erloschen, denke ich, und ich frage mich, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Das Feuer der Leidenschaft, das seit Jahren unter der Asche weiterschwelt, kann jederzeit wieder auflodern. Warum habe ich mich all die Jahre gequält und gegeißelt? Wieso habe ich gekämpft, um die Leidenschaft und die Liebe zu besiegen, die mich mit Rozenn ein paar Wochen lang so unendlich glücklich gemacht hat?
Ich drücke meine Nase in ihr duftendes Haar, berühre die seidigen Strähnen mit meinen Lippen und atme tief ein. Alessandra rührt sich nicht. Ihr kann unmöglich entgangen sein, wie sehr sie mich erregt.
»Gib mir mal die Fackel, Raymond.« Der Schatten verschwindet, der Lichtschein nähert sich, der Mönch leuchtet in das erste Seitenschiff des Beinhauses.
Ich lege meinen Arm um sie und halte sie fest.
Das zweite Seitenschiff.
Ich presse sie ganz fest an mich.
Und jetzt das dritte Seitenschiff.
Ich kann ihn über Alessandras Schulter hinweg sehen. Er ist keine vier Schritte von uns entfernt.
Eine Bewegung im Durchgang zur Totenkapelle lässt ihn erschrocken herumfahren.
Alessandra
Kapitel 39
Im Ossuarium
Gegen halb drei Uhr nachts
Tyson huscht die Stufen herauf und bleibt im Torbogen stehen. Seine Augen leuchten, als er sich aufmerksam umblickt und immer wieder in unsere Richtung guckt und maunzt.
Yannic hinter mir erstarrt. Offenbar besteht die Gefahr, dass Tyson zu uns herüberkommt.
Der Kater lässt sich nieder und wartet. Als Yannic nicht reagiert, drapiert er sich, alle viere von sich gestreckt, der Länge nach auf den Boden. Nur der Schwanz bewegt sich. Den Kopf legt er zwischen die weißen Pfoten und blinzelt in unsere Richtung. »Miau!«
Was so viel bedeutet wie: Komm und spiel mit mir! Nun mach schon!
»Jourdain?«, ruft Raymond von draußen.
Tysons Kopf ruckt hoch, sein Blick huscht zum Eingang.
Der Mönch, der ihn beobachtet hat, wendet sich mit knirschenden Sandalen um. »Was ist?«
»Ist sie dort?«
Jourdain schwenkt die Fackel und sieht sich unschlüssig um – einen Schritt weiter, nur einen kleinen Schritt, und er muss uns sehen. »Nein, hier ist sie auch nicht.«
Seine Stimme kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich weiß nur nicht, wieso. Habe ich mich gestern nach der Sext mit ihm im Kreuzgang unterhalten, wie mit Conan? Nein! ›Va au Diable!‹, hat er vor wenigen Minuten gerufen. Er ist es!
»Dann komm, wir müssen weiter!«, dröhnt es vom Portal her.
Nach einem letzten Blick in unsere Richtung verlässt Jourdain das Beinhaus, und es wird wieder dunkel.
Yannic stößt mich von sich, bevor seine Erregung noch offenkundiger wird. Was ich an meinen Schenkeln gespürt habe, war nicht das Notizbuch in seiner Kukulle.
»Tut mir leid!«, wispere ich.
Er atmet tief durch, um sich zu beruhigen. »Ist nicht deine Schuld. Ich hab dich festgehalten und gegen mich gepresst.« Seine Stimme klingt heiser.
»War’s schön?« Was hätte ich darum gegeben, jetzt sein Gesicht sehen zu können. Es ist mir nicht entgangen, wie er mich den ganzen Abend angesehen hat.
Er schluckt trocken. »Mir hat’s gefallen«, gibt er schließlich zu. Verlegen? Oder beschämt? Von wegen!
Ich taste nach seiner Hand. »Komm jetzt.«
Er folgt mir zu dem Durchgang in die Chapelle Saint-Etienne, die von einer Kerze auf dem Altar erleuchtet wird.
Tyson guckt erwartungsvoll zu uns hoch. »Miau!«
Yannic bückt sich, streichelt das Dickerchen zärtlich und verspricht ihm eine Makrele. Dann richtet er sich wieder auf.
Eine Maus nutzt die Unaufmerksamkeit des Katers, flitzt an dem Sarkophag entlang und verschwindet in einer Nische. Tyson hetzt die Stufen hinunter der Maus hinterher.
Yannic und ich durchqueren die Totenkapelle und betreten das Treppengewölbe. Rechts windet sich die Treppe hinauf in die Kirche. Links führt ein Gang über etliche von Kerzen beleuchtete und mit Pergamentfetzen bedeckte Stufen hinauf zur Krypta Notre-Dame-sous-Terre.
Schon will ich die Stufen hinaufsteigen, als Yannic mich grob am
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