Das Testament
Kenntnis von dem damit verbundenen Verfahren hat und auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, sich daran zu beteiligen. So will es das Gesetz.«
»Und wenn ich mich weigere?«
»Darüber habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht nachgedacht. Es ist eine solche Selbstverständlichkeit, dass alle es einfach machen.«
»Das würde heißen, ich unterwerfe mich dem Gericht in…«
»Virginia. Das dortige Nachlassgericht ist für Sie zuständig, auch wenn Sie sich woanders aufhalten.«
»Ich bin nicht sicher, ob mir das gefällt.«
»Na schön, dann springen Sie ins Boot, und wir fliegen nach Washington.«
»Ich gehe hier nicht weg.« Darauf folgte ein langes Schweigen, das durch die völlige Finsternis um sie herum noch vertieft wurde. Der junge Mann unter dem Baum regte sich nicht. Von den Indianern in ihren Hütten hörte man mit Ausnahme eines schreienden Säuglings keinen Laut.
»Ich hole uns etwas Saft«, sagte sie mit leiser Stimme und ging dann hinein.
Nate stand auf, streckte sich und schlug nach Moskitos.
Im Haus sah man flackernden Lichtschein. Rachel hielt eine Art tönerne Schale mit einer Flamme in der Mitte. »Das sind Blätter von dem Baum da drüben «, erklärte sie, während sie die Schale auf den Boden neben die Tür stellte. »Wir verbrennen sie, um die Moskitos zu vertreiben. Setzen Sie sich ganz nahe daran.«
Nate befolgte die Aufforderung. Sie kehrte mit zwei Bechern zurück. Sie enthielten eine Flüssigkeit, die er nicht sehen konnte. »Es ist macajuno, so ähnlich wie Orangensaft.« Sie saßen dicht nebeneinander auf den Boden, den Rücken an die Wand der Hütte gelehnt. Die Schale mit der Flamme stand nicht weit von ihren Füssen.
»Sprechen Sie leise«, sagte sie. »Die Stimmen tragen in der Dunkelheit weit, und die Leute versuchen zu schlafen. Außerdem sind sie schrecklich neugierig.«
»Sie können nichts verstehen.«
»Schon, aber sie hören trotzdem zu.«
Er hatte sich mehrere Tage nicht mit Seife gewaschen und machte sich mit einem Mal Sorgen um seine Körperhygiene. Er nahm einen kleinen Schluck, dann noch einen.
»Haben Sie Familie?« fragte sie.
»Ich hab es zweimal probiert. Zwei Ehen, zwei Scheidungen, vier Kinder. Jetzt lebe ich allein.«
»Es ist sehr leicht, sich scheiden zu lassen, nicht wahr?«
Nate nahm ein winziges Schlückchen der warmen Flüssigkeit. Bisher war er von den entsetzlichen Durchfällen verschont geblieben, die so manchen Ausländer heimsuchten. Sicherlich war diese dunkle Flüssigkeit harmlos.
Zwei Amerikaner mitten in der Wildnis. Es gab so vieles, worüber sie reden konnten - warum musste sie da ausgerechnet das Thema Scheidung ansprechen.
»Ehrlich gesagt war es ziemlich qualvoll.«
»Aber wir machen alle weiter. Wir heiraten und lassen uns wieder scheiden.
Lernen einen anderen Menschen kennen, heiraten, lassen uns scheiden. Lernen wieder einen anderen Menschen kennen.«
»Wir?«
»Damit meine ich zivilisierte, gebildete, komplizierte Menschen. Die Indianer hier kennen keine Scheidung.«
»Die haben auch meine erste Frau nicht gesehen.«
»War sie unangenehm?«
Nate stieß die Luft aus und nahm einen weiteren Schluck. Tu ihr den Gefallen, sagte er sich. Sie möchte sich unbedingt mit einem Landsmann unterhalten.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich will mich nicht in Ihre Privatangelegenheiten drängen. Es ist nicht wichtig.«
»Sie war kein schlechter Mensch, jedenfalls nicht in den ersten Jahren. Ich habe viel gearbeitet und noch mehr getrunken. Wenn ich nicht in der Kanzlei war, war ich in einer Kneipe. Sie war nicht damit einverstanden, hat mir dann Vorwürfe gemacht und ist zum Schluss richtig bösartig geworden. Die Dinge sind derart außer Kontrolle geraten, dass wir uns gegenseitig gehasst haben.«
Die kleine Beichte war im Nu vorüber, und es genügte beiden. An jenem Ort schienen die Trümmer seiner Lhe völlig unerheblich zu sein.
»Haben Sie nie geheiratet?« fragte er.
»Nein.« Sie nahm einen Schluck. Sie war Linkshänderin und stieß mit ihrem Ellbogen an seinen, als sie den Becher hob. »Auch Paulus hat nie geheiratet, wissen Sie.«
»Welcher Paulus?«
»Der Apostel.«
»Ach so, der.«
»Lesen Sie in der Bibel?«
»Nein.«
»Ich habe auf dem College einmal geglaubt, verliebt zu sein. Ich wollte ihn heiraten, aber der Herr hat mich auf einen anderen Weg geführt.«
»Warum?«
»Weil es sein Wille war, dass ich hierher kam. Zwar war der Junge, in den ich verliebt war, ein guter Christ, aber er wäre den
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