Das Testament
Kunststoffschachtel, die einst Medikamente enthalten hatte. Der Häuptling wies darauf und sagte etwas.
»Da ist was drin, das Sie sich ansehen sollen«, dolmetschte Jevy.
»Ich?«
»Ja. Sie hat gewusst, dass sie sterben würde, und den Häuptling gebeten, ihre Hütte zu bewachen. Wenn ein Amerikaner kommen würde, sollte er ihm die Schachtel zeigen.«
Nate hatte Angst, sie zu berühren. Der Häuptling nahm sie und gab sie ihm. Nate ging nach nebenan und setzte sich auf das Sofa. Der Häuptling und Jevy verließen die Hütte.
Seine Briefe hatten sie nie erreicht, jedenfalls lagen sie nicht in der Schachtel. Außer einer brasilianischen Kennmarke, wie sie jeder Bewohner des Landes besitzen muss, der kein Ureinwohner ist, enthielt sie drei Briefe von der Missionsgesellschaft. Nate las sie nicht, denn am Boden der Schachtel sah er Rachels Testament.
Es steckte in einem weißen Umschlag mit einem brasilianischen Absender. In ordentlichen Druckbuchstaben hatte sie darauf geschrieben: Letzter Wille Rachel Lane Porters.
Ungläubig sah Nate darauf. Mit zitternden Händen öffnete er behutsam den Umschlag. Er enthielt zwei gefaltete und durch eine Heftklammer verbundene Brief bögen. Auf dem ersten stand noch einmal in großen Druckbuchstaben Letzter Wille Rachel Lane Porters.
Nate las:
Ich, Rachel Lane Porter, Gottes Kind, Bewohnerin Seiner Welt, Bürgerin der Vereinigten Staaten und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, setze dies als meinen Letzten Willen fest.
1. Ich habe keine früheren Testamente abgefasst, die ich widerrufen müsste. Dies ist mein erstes und letztes. Jedes Wort habe ich von Hand geschrieben. Es soll ein eigenhändiges Testament sein.
2. In meinem Besitz habe ich eine Kopie des Testaments meines Vaters, Troy Phelan, vom 9. Dezember 1996, in dem er mich zur Universalerbin seines Vermögens einsetzt. Ich versuche, dies Testament nach dem Muster des seinigen abzufassen.
3. Weder schlage ich das auf mich entfallene Erbe aus, noch möchte ich es antreten, vielmehr ist mein Wunsch, dass mit dem Vermögen eine Stiftung gegründet wird.
4. Die Erträge der Stiftung sollen dazu dienen, nachstehende Ziele zu unterstützen: a) das Werk der Missionare von World Tribes Missions auf der ganzen Welt fortsetzen, b) die frohe Botschaft des Christentums verbreiten, c) die Rechte der Eingeborenenvölker Brasiliens und ganz Südamerikas schützen, d) die Hungrigen speisen, die Kranken heilen, den Obdachlosen eine Heimstatt verschaffen und die Kinder retten.
5. Zum Treuhänder der Stiftung berufe ich meinen guten Freund Nate O’Riley und gebe ihm die zu ihrer Verwaltung erforderlichen Vollmachten. Zugleich ernenne ich ihn zum Vollstrecker dieses Testaments.
Gezeichnet am sechsten Tag des Januar 1997 in Corumba, Brasilien.
RACHEL LANE PORTER
Er las ihr Testament immer wieder. Der Text auf dem zweiten Blatt war in Maschinenschrift auf portugiesisch abgefasst. Es würde eine Weile warten müssen.
Er betrachtete die gestampfte Erde zu seinen Füssen. Die Luft war stickig und stand vollkommen still. Die Welt schwieg, auch vom Dorf her war kein Laut zu hören. Die Ipicas hielten sich immer noch vor dem weißen Mann und seinen Krankheiten verborgen.
Fegt man einen Fußboden aus gestampfter Erde, damit es in der Hütte ordentlich und sauber außieht? Und stehen, wenn das Strohdach undicht ist, bei Regen Pfützen auf dem Boden und verwandeln ihn in Matsch? An der Wand ihm gegenüber sah er ein roh gezimmertes Regal mit Büchern - Bibeln, Anleitungen zum Lesen der Bibel, theologische Schriften. Es stand ein wenig schief und neigte sich einige Zentimeter nach rechts.
Elf Jahre lang war hier ihr Zuhause gewesen.
Er las das Testament erneut. Am sechsten Januar hatte er das Krankenhaus in Corumba verlassen. Sie war kein Traum gewesen. Sie hatte ihn berührt und ihm gesagt, dass er nicht sterben würde. Dann hatte sie ihr Testament geschrieben.
Das Stroh, auf dem er saß, raschelte, als er sich bewegte. Er war tief in Gedanken, als Jevy den Kopf zur Tür hereinsteckte und ihm mitteilte: »Der Häuptling möchte, dass wir gehen.«
»Lesen Sie das«, sagte Nate und gab ihm die beiden Blätter, das maschinenschriftliche obenauf. Jevy trat einen Schritt vor, um etwas sehen zu können. Er las langsam und sagte dann: »Es handelt sich um eine Erklärung von zwei Personen. Die eine ist ein Anwalt, der bestätigt, dass er gesehen hat, wie Rachel Lane Porter in seiner Kanzlei in Corumba ihr Testament unterschrieben hat.
Weitere Kostenlose Bücher