Das Teufelslabyrinth
leise Stimme seines Vaters, konnte aber nicht verstehen, was er sagte.
Plötzlich waren diese grauenhaften Bilder verschwunden, und über ihm sang jemand, während jemand anderer Blut auf seine Stirn rieb.
Er hatte verloren. Das Ding - was immer es sein mochte - war jetzt in ihm. Er versuchte, sich dagegen zu wehren, zu protestieren, zu schreien, aber alles, was aus seinem Mund kam, war ein faulig riechender Atem.
Dann öffnete sich sein Mund abermals, dehnte sich weit und immer weiter, bis seine Kiefer vor Schmerz brannten und die Haut seiner Lippen einzureißen drohte, und ganz tief aus seinem Inneren erscholl ein brüllendes Fauchen.
Jetzt verließen Ryan endgültig die Kräfte. Der schwache Zugriff auf sein Bewusstsein, den er eben noch gehabt hatte, entglitt ihm, und machtlos unterwarf er sich der alles vereinnahmenden Persönlichkeit des Satans.
Der Kampf war vorüber, und Pater Sebastian hatte gewonnen.
51
Als am Ende des Videos der große Bildschirm schwarz geworden war, blieb Papst Innozenz XIV. noch etliche Minuten kerzengerade in seinem Sessel sitzen, den Blick geradeaus gerichtet, die Miene wie eingefroren.
»Heiliger Vater?«, sagte Kardinal Morisco leise, unsicher, ob es richtig war, den Pontifex aus seiner Versenkung zu reißen, aber ebenso unsicher, ob der alternde Gottesmann angesichts dieser Bilder nicht in eine Art Schockstarre verfallen war. »Geht es Euch gut?«
»Ja«, seufzte der Papst, lehnte sich jetzt zurück und holte ein Taschentuch aus einer versteckten Seitentasche seiner Soutane, um sich den Schweiß von der Stirn zu tupfen. »Ja«, sagte er noch einmal. Diesmal klang seine Stimme schon kräftiger. »Mir geht es gut. Geben Sie mir bitte noch eine Minute.«
»Selbstverständlich.« Morisco nutzte die Zeit, während der Papst sich sammelte, um seinen Laptop wegzupacken.
Beim ersten Betrachten dieser Teufelsaustreibung - auf dem ersten Videoclip, der aus Boston geschickt worden war - hatte sein Verstand ihn aufgefordert, das Video als dummen Scherz abzutun. Es war ohne Frage genauso schlecht aufgenommen und dilettantisch ausgeleuchtet gewesen wie die zahllosen Wunder und Erscheinungen, die er sich im Laufe der Jahre auf Film oder Video gebannt hatte ansehen müssen. Und selbst wenn das, was er da gesehen hatte, tatsächlich so stattgefunden hatte, dann konnte es sich nur um einen glücklichen Zufall handeln.
Doch im Gegensatz zu seinem Verstand hatten ihm sein Glaube - und sein Bauchgefühl - etwas anderes gesagt.
Sie hatten ihm geraten, für alles offen zu sein.
Der zweite Videoclip hingegen war von weitaus besserer Qualität gewesen, und inzwischen war er davon überzeugt, dass das Mädchen, das Pater Sebastian diesem Exorzismus unterzogen hatte, seine Reaktionen unmöglich hätte spielen können.
Nein, das war kein Scherz und auch kein Zufall.
Aber wusste der Priester wirklich, was er da tat?
Der Papst war jedenfalls derart beeindruckt von diesem zweiten Clip, dass er sich die Unterlagen über Sloanes gesamten Werdegang hatte kommen lassen, einschließlich einer Kopie seiner Dissertation von Notre Dame.
Wie sich herausstellte, hatten sich beide Männer für diesen uralten, katholischen Ritus interessiert, wobei der Mann, der jetzt Papst war, viele Jahre vor Sloane damit begonnen und sehr viel Zeit für Nachforschungen investiert
hatte, aber nie wirklich zu einem befriedigendem Ergebnis gekommen war.
Sloane hingegen schien mit einem intuitiven Gespür gesegnet zu sein, das ihn Wege gehen ließ, die der Papst nie auch nur für einen Moment in Betracht gezogen hatte. Dieser Priester hatte scheinbar völlig irrationale Gedankengänge verfolgt, die, so unwahrscheinlich sie auch waren, sich am Ende tatsächlich doch als richtig erwiesen hatten.
War es möglich, dass dieser Priester eine göttliche Eingebung gehabt hatte?
Oder konnte er wirklich irgendwo auf den Text dieses uralten Rituals gestoßen sein?
Oder, noch unwahrscheinlicher - und wichtiger -, hatte Sloane den uralten Ritus wiedererschaffen ? Den Ritus der Anrufung, der nach den Erfahrungen des Papstes nie mehr als ein Gerücht gewesen war.
Alte Geschichten, die über Jahrhunderte überliefert und dabei zweifelsfrei von jedem Erzähler verdreht und ausgeschmückt worden waren.
Die Möglichkeit, dass dieser Priester den Ritus der Anrufung tatsächlich entweder neu entdeckt oder wiederaufleben hatte lassen, hatte dem Papst einige schlaflose Nächte beschert, in denen er über die Bedeutung eines solchen
Weitere Kostenlose Bücher