Das Teufelslabyrinth
unsichtbaren Kraft angetrieben. Auch nachdem die Kreide aufgebraucht war, bewegten sich seine Finger weiter über den rauen Steinboden, seine Haut rieb sich ab, später sein Fleisch, und schließlich vollendete er den Plan mit seinem eigenen Blut.
Und währenddessen füllte sich der Raum immer mehr mit diesem seltsamen Schatten, die Atmosphäre wurde immer dichter, bis Sebastian Sloane ausgestreckt auf dem Boden lag.
Die Luft in dem Raum wurde so schwer, dass er nur noch rasselnd atmen konnte, und der Druck auf seine Lungen war so stark, dass sie zusammenzufallen drohten.
Was, wenn er die nötigen Vorbereitungen nicht überlebte?
Bitte. Ohne mich kann das nicht zu Ende gebracht werden.
Und dann war es fertig.
Nachdem der Sarg siebenmal komplett umrundet worden war, ließ der Druck in dem Raum nach, und auf einmal verschwanden auch diese tiefen Schatten.
Wie aus einem Tagtraum gerissen, verharrte Pater Sebastian einen Moment reglos, dann erhob er sich langsam, richtete sich auf und schaute hinab auf das Diagramm, das auf dem Steinboden abgebildet war.
Und obgleich er wusste, dass die Kopie perfekt war, verglich er sie noch einmal mit der ursprünglichen Zeichnung auf der alten Schriftrolle.
Die beiden Zeichnungen waren absolut identisch, glichen sich bis aufs i-Tüpfelchen. Doch darüber hinaus spürte er etwas in der Kammer - die Anwesenheit von etwas -, das vorher nicht da gewesen war.
Alles war bereit.
Nur die Kinder fehlten noch …
57
Der flackernde Lichtschein am Ende des langen Tunnels zog Ryan wie der Köder in einer Falle an, und obgleich er wusste, dass die Falle sehr bald zuschnappen würde, konnte er sich ebenso wenig von diesem Licht abwenden wie ein Wolf von einem Stück Frischfleisch.
Noch vor kurzem hatte er im Speisesaal mit Melody und Sofia an einem Tisch gesessen, hatte mit ihnen zu
Abend gegessen und versucht herauszufinden, wie er am einfachsten ins Krankenhaus gelangen könnte, um seine Mutter zu besuchen. Doch dann hatte ihn auf einmal ein eigentümliches Gefühl erfasst, das Gefühl, dass jemand etwas von ihm wollte, dass er gebraucht wurde. Er hatte sich im Saal umgesehen, und es hätte ihn nicht gewundert, wenn einer der Priester oder eine der Nonnen in der Tür gestanden und ihn zu sich zitiert hätte. Doch da war niemand, und gleichzeitig erkannte Ryan, dass dieses Gefühl gar nicht von außerhalb gekommen war. Es war irgendwo tief in ihm selbst entstanden, und im nächsten Moment war er vom Tisch aufgestanden und zur Tür gegangen.
Er hatte stehen bleiben und zuvor noch sein Essenstablett wegräumen wollen, aber dazu war keine Zeit gewesen.
Er hatte dem Ruf einfach folgen müssen.
Melody und Sofia waren in genau demselben Moment aufgestanden wie Ryan, und er war ihnen aus dem Speisesaal und durch die Tür zur Kellerstiege gefolgt. Diesmal war er nicht vor der Dunkelheit zurückgeschreckt, hatte sich nicht vor dem Weg durch dieses unterirdische Labyrinth gefürchtet.
Dieses Mal hatte er keine Taschenlampe gebraucht, um sich zu orientieren. Kein Licht, das ihn leitete.
Als er sich dem schwachen, pulsierenden Lichtschein bis auf wenige Schritte genähert hatte, fand er sich in der offenen Tür zu der Kammer wieder, in deren Mitte Jeffrey Holmes’ verzierter Marmorsarg stand. Doch anders als beim letzten Mal, als es stockfinster in dem Raum gewesen war, starrte er auf einen Kreis brennender Kerzen und ein seltsames Diagramm - wie verschlungene Wege -, das auf den Boden gemalt war.
Mit Kreide und mit Blut.
Es widerstrebte Ryan zutiefst, diesen Raum zu betreten. Und obgleich ihm seine Füße den Gehorsam zu versagen drohten und eine schier unwiderstehliche Kraft ihn in diesen Raum hineinzuziehen schien, blieb er in der Tür stehen.
Sofia und Melody waren schon drin, standen ganz ruhig auf den beiden Ausgangspunkten in das Labyrinth, die auf dem Steinboden markiert waren.
Der dritte Ausgangspunkt war leer, und Ryan wusste, dass die beiden Mädchen auf ihn warteten.
Diese unsichtbare Macht drängte Ryan, doch er verweigerte sich ihr immer noch, abgestoßen auch von dem durchdringenden Geruch des Todes, der sich mit dem Rauch der Kerzen vermischte und dem Gestank der verwesenden Leiche in dem Steinsarkophag.
Jetzt vereinigte sich die Kraft des Kerzenlichts mit dieser unbekannten Macht in Ryan selbst, und er musste sich mit beiden Händen an den Türstöcken festklammern, um sich daran zu hindern, die Schwelle zu übertreten.
Plötzlich löste sich eine schwarz
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