Das Teufelslabyrinth
tragen hätte.
»Ist Kip wohlauf?«, erkundigte sich Anne noch einmal.
»Wir haben keinen Grund zur Annahme, dass dem nicht so ist«, antwortete Pater Sebastian eine Spur zu schnell.
»Wenn alles in Ordnung wäre mit ihm, wären Sie ja wohl kaum hier«, stellte Gordy Adamson mürrisch fest und wich keinen Zentimeter von seinem Posten neben der Küchentür. »Also, reden wir nicht lange um den heißen Brei herum. Sagen Sie uns einfach, was er verbrochen hat. Es ist ja nicht so, dass es das erste Mal wäre.«
Pater Sebastian wappnete sich mit einem tiefen Atemzug, bevor er anhob zu sprechen. »Kip hat anscheinend heute Morgen den Campus ohne Erlaubnis verlassen. Und
wir haben gehofft, dass er vielleicht bei Ihnen ist oder dass sie zumindest etwas von ihm gehört haben.«
»Gott verdammt!«, knurrte Gordy.
»Gordy!« Anne warf ihrem Mann einen warnenden Blick zu und wandte sich dann zu den beiden Geistlichen um. »Nein, wir haben nichts von ihm gehört.«
»Täusche ich mich, oder ist es nicht Ihre Aufgabe, auf ihn aufzupassen?«, brauste Gordy auf und nahm dabei Bruder Francis ins Visier. »Haben wir ihn nicht deshalb auf die St. Isaac’s geschickt? Damit genau so was nicht passiert?«
»In den letzten acht Monaten habe ich sehr eng mit Ihrem Sohn zusammengearbeitet«, beeilte sich Pater Sebastian zu erwidern, der sich im Gegensatz zu Bruder Francis nicht von Mr. Adamsons Tonfall aus dem Konzept bringen ließ. »Und er hat sich wirklich gut gemacht - hat gute Noten geschrieben, und auch sein Betragen hat sich sehr gebessert. Abgesehen von dem üblichen Unfug, den alle unsere Schützlinge hin und wieder anstellen, hat er sich nichts zuschulden kommen lassen, was nicht mit einer Beichte und ein paar Ave-Marias auszumerzen gewesen wäre.« Seine beiläufig vorgebrachte Erwähnung der Beichte hatte den beabsichtigten Effekt; Gordy Adamson ließ endlich die Arme sinken, stieß sich von der Wand ab und gesellte sich zu seiner Gattin. »Offen gestanden ist es mir ein Rätsel, warum er weggelaufen ist«, beendete Pater Sebastian seine Rede.
»Hören Sie, wir haben ihn auf die St. Isaac’s geschickt, weil diese Schule angeblich dafür bekannt ist, dass sie mit solchen Kindern - wie nennt ihr die? ›Gefährdete Jugendliche‹, was zum Teufel das auch heißen mag - zurande kommt. Wie ist es also möglich, dass er da einfach so rausspazieren und türmen konnte?«
»St. Isaac’s ist kein Gefängnis, Mr. Adamson«, stellte Pater Sebastian klar. »Die Schüler sind keine Gefangenen, und wir sind keine Aufseher. Ich bin Psychologe und behandle alle unsere Schüler - besonders die sogenannte ›gefährdete Gruppe‹ - mit großem Respekt. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die meisten unserer Schüler sich unseren Erwartungen gemäß entwickeln, und ich freue mich, Ihnen versichern zu können, dass Kip einer von ihnen ist. Und genau deshalb ist mir sein Verschwinden unbegreiflich.«
»Etwas muss ihn dazu getrieben haben«, erklärte Anne Adamson, die nervös an ihrer Schürze zupfte. »Das war bis jetzt immer so. Alles scheint in bester Ordnung, und dann passiert irgendetwas. Dann dreht er plötzlich durch.« Bruder Francis merkte, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen, deshalb griff er nach ihrer Hand und hielt sie.
»Ich bin mir sicher, dass nichts dergleichen passiert ist«, begann er, verfiel aber auf den warnenden Blick von Pater Sebastian hin sofort wieder in Schweigen.
»Vielleicht ist doch etwas vorgefallen«, fuhr Pater Sebastian an seiner Stelle fort. »Aber wenn dem so ist, dann haben wir leider keine Ahnung, worum es sich handeln könnte. Ich glaube vielmehr, dass Kip weggelaufen ist, um sich über seine Gefühle klarzuwerden.«
»Über seine Gefühle klarzuwerden?«, grunzte Gordy verächtlich. »Was soll dieses Psychogeschwätz? Euch ist ein Kind abgehauen, das ihr mit Argusaugen hättet bewachen müssen, und jetzt heißt es, er ist weggelaufen, um sich über seine Gefühle klarzuwerden?«
»Vielleicht habe ich mich ungeschickt ausgedrückt«, entgegnete Pater Sebastian ruhig. »Tatsache ist jedenfalls,
dass er schon früher ab und zu weggelaufen ist, richtig? Und er ist immer wieder nach Hause gekommen, ja?«
Als Gordy Adamson den Priester nur wütend anstarrte, sagte seine Frau: »Er hat Recht, Gordy.« Sie versuchte, ihre Hand auf die ihres Gatten zu legen, doch der zog seine Hand zurück.
»Wir haben ihn auf diese verfluchte Schule geschickt, damit er eben nicht wieder abhaut«,
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