Das Teufelslabyrinth
hierherzuschleppen; wie von einer unsichtbaren Hand geleitet, war sie durch endlose
Flure und Korridore gelaufen, nie sicher, wo sie sich befand oder ob sie die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Doch jetzt stand sie fast im Stockfinsteren vor dieser Eichentür, die leise ächzend aufschwang und den Blick auf eine nur von zwei Kerzen erhellte Kapelle freigab. In diesem Augenblick kehrte ihre Erinnerung zurück.
Pater Sebastian stand mit dem Rücken zu ihr vor dem Altar und betete. Der Beichtstuhl war dunkel und leer. Hinter dem Altar erhob sich das riesige Kruzifix, das alles in dieser kleinen Kapelle überragte.
Sofia versuchte, nicht in das schmerzverzerrte Gesicht des gekreuzigten Erlösers zu schauen, doch seine Augen zogen ihren Blick unerbittlich auf sich. Wie versteinert stand sie eine ganze Weile in der Tür und raffte mit einer Hand den Ausschnitt ihres Pullis zusammen, als könnte sie der dünne Stoff vor der Kälte schützen, die sich in ihrem Körper ausbreitete.
Pater Sebastian drehte sich zu ihr um. »Hallo, Sofia. Bitte, komm herein.«
Seine Stimme klang freundlich und sanft. Sofia machte einen zögernden Schritt nach vorn.
»Hab keine Angst, mein Kind. Hier im Haus Gottes gibt es nichts, was du fürchten musst.« Seine herzliche Stimme und sein Lächeln vertrieben ein wenig die Kälte, die sie umfing. »Wir wollen jetzt deine Beichte von gestern mit Buße und der Absolution zu Ende bringen. Gemeinsam werden wir auch jeden noch so kleinen Impuls zu sündigen im Keim ersticken.«
Seine Stimme wusch über sie hinweg wie ein reinigendes Bad, und als er ihr einladend die Hand entgegenstreckte, trat sie an den Altar.
Ihre Finger berührten seine.
»Zuerst werden wir beten, Sofia«, sagte der Priester, dessen Augen im Kerzenlicht samten schimmerten. »Dann werde ich dich auffordern, dich vor dem Herrn Jesu auf dem Boden auszustrecken, während ich dir die Absolution erteile. Und mit dem Sakrament des heiligen Abendmahls werden wir schließen.«
Sofia schwieg. Sie wusste, dass von ihr keine Erwiderung erwartet wurde.
»Heute Abend befassen wir uns mit dem Bösen, das in dir schlummert«, erklärte Pater Sebastian.
Das Böse? Was faselte er denn da? Darren und sie hatten doch nur ein bisschen rumgefummelt. Mehr nicht. Es war ja nicht so, dass sie wirklich Sex gehabt oder sonst etwas richtig Schlimmes angestellt hatten. Von welchem Bösen sprach er denn überhaupt? Selbst wenn Darren und sie irgendeine Sünde begangen hatten - was vermutlich der Fall gewesen war -, machte sie das noch lange nicht böse, oder? Andererseits hatte Sofia inzwischen gelernt, sich nicht mit Priestern anzulegen, weshalb sie auch ohne zu murren gehorchte, als Pater Sebastian ihr bedeutete, dass es Zeit sei, sich nun auf den Boden zu legen.
Sofort spürte sie wieder diese Kälte, die sie beim Betreten der Kapelle befallen hatte und die jetzt von den harten Steinfliesen abstrahlte und ihr direkt in die Knochen fuhr.
Pater Sebastian ging unterdessen leise murmelnd vor dem Altar auf und ab, doch Sofia hörte kaum hin. Vielmehr konzentrierte sie sich darauf, die Schmerzen in ihren Knochen, die Kälte in ihrem Körper und die Angst in ihrer Seele im Zaum zu halten. Bald würde es vorüber sein. Es musste bald vorüber sein.
Bald würde sie den Spruch der Absolution hören.
Pater Sebastian sprach seine Gebete, eins nach dem anderen, und irgendwann begannen ihre Gedanken abzuschweifen, bis alles - die Schmerzen, das flackernde Licht der Kerzen und die murmelnde Stimme des Priesters, ja sogar die Zeit selbst - sich zu einem einzigen, seltsamen Gefühl vereinigte. Es war, als schwebte sie, als dämmerte sie, von unsichtbaren Flügeln getragen, dahin …
»Erhebe dich auf die Knie«, befahl ihr Pater Sebastian.
Augenblicklich kehrten die Schmerzen, die Kälte und die Angst zurück, von denen sich Sofia befreit geglaubt hatte, und als sie sich mühsam hochrappelte, fürchtete sie zeitweise, ohnmächtig zu werden. Doch irgendwann kniete sie auf dem harten Steinboden, bekreuzigte sich und beugte tief den Kopf.
Pater Sebastian öffnete die Schatulle und entnahm ihr eine einzelne Hostie. »In der Nacht, als er verraten wurde, nahm Jesus das Brot, dankte, brach es und sprach: ›Dies ist mein Leib, den ich für euch hingegeben habe; tut dies zu meinem Gedächtnis.‹«
Sofia hob den Kopf, öffnete den Mund, und der Priester legte ihr die Hostie auf die Zunge.
»Nach dem Mahl«, fuhr Pater Sebastian fort, »nahm Jesus den
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