Das Teufelslabyrinth
wollte sich die Augen reiben, den Schwindel vertreiben, die Nebelschleier vor ihren Augen wegwischen. Aber etwas hielt sie zurück.
Etwas an ihren Handgelenken.
Eine Fessel!
Sie verdrehte den Kopf und erhaschte einen Blick auf die dicke, schwarze Samtkordel, die durch eiserne Ringe lief und ihre Hand- und Fußgelenke an etwas fesselte.
An einen Tisch! An einen harten Tisch aus Stein!
Aber warum?
Was hatte sie getan, dass man sie fesseln musste?
Abermals versuchte sie zu sprechen; und abermals kam nur ein gurgelnder Laut über ihre Lippen.
»Sprich nicht«, sagte Pater Sebastian. »Verleih dem Dämon keine Stimme.«
Dämon?
In panischer Angst schaute Sofia sich um. Was redete er da? Wo war sie? Was war mit ihr passiert?
Sie zerrte an den Fesseln, doch die schienen aus Stahl zu bestehen und nicht aus Samt.
Noch einmal versuchte sie zu sprechen, richtete ihren Blick auf das alte, freundliche Gesicht von Pater Laughlin und konzentrierte sich auf die ersten Silben seines Namens, doch als sie schließlich den Mund aufmachte, kam nur ein stammelnder »F-F-F…«-Laut heraus.
Und Pater Laughlin wandte sein Gesicht ab.
Die Angst schnürte ihr die Kehle zu, sie bekam kaum Luft, und ihre Augen schwammen in Tränen, doch Sofia hörte auf, an den Fesseln zu zerren, und lag ganz still da. Versuchte nachzudenken, versuchte den schwarzen, watteartigen Dunst zu durchdringen, der ihren Verstand vernebelte, versuchte sich zu erinnern.
Dann sah sie es.
Ein gigantisches Kruzifix, das umgedreht über ihr schwebte.
Die obere Kante des Längsbalkens war lanzenförmig zugehauen, die Spitze glitzerte golden und schien direkt auf ihr Herz gerichtet.
Was hatten sie mit ihr vor?
Sofia fing Schwester Mary Davids Blick auf, doch als sie etwas sagen wollte, brachte sie wieder nur einen zischenden Laut heraus.
Sie träumte!
Das konnte nur ein schrecklicher Alptraum sein.
Das konnte unmöglich wirklich passieren.
Schwester Mary David zuckte vor Sofias Zischen zurück, bekreuzigte sich und schwenkte das Weihrauchgefäß energisch hin und her.
»Lasst uns jetzt dem Bösen in der Seele dieses Kindes entgegentreten«, begann Pater Sebastian mit einer seltsamen Singsang-Stimme, »auf dass wir es anschließend für immer von ihr nehmen.«
Als der Priester den rechten Arm hob und Sofia die gespreizten Finger entgegenstreckte, wurde ihr auf einmal übel. Wieder stieß sie einen unverständlichen Laut aus, fürchtete, dass die Finger sie berührten, und warf den Kopf hin und her.
Was passierte da?
Warum hatte sie solche Angst vor ihm?
Warum war ihr plötzlich so furchtbar schlecht?
Und wenn das ein Traum war, warum wachte sie dann nicht auf?
»Schweige, Dämon!« Pater Sebastian stand jetzt über ihr, und plötzlich sah Sofia etwas in seinen Augen, was sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Hass.
Puren, grenzenlosen Hass.
Sofia erschauderte. Tränen kullerten ihr aus den Augenwinkeln.
Pater Sebastian betete jetzt auf Latein, doch diese Gebete hatte Sofia noch nie gehört, und auch der eigenartige Sprechrhythmus war ihr fremd.
Dann machte er mit seinen Händen merkwürdige Zeichen und begann im Takt seines Sprechgesangs um sie herumzugehen.
Bald drehte sich alles vor ihren Augen, als Pater Sebastian sie immer schneller umkreiste. Inzwischen war ihr speiübel. Ihr Magen hob sich, gallebitterer Speichel stieg ihr die Kehle hoch, und sie tat alles, um den Brechreiz zu unterdrücken.
Passierte das wirklich?
»Das Ziegenblut«, verlangte Pater Sebastian, woraufhin Pater Laughlin ihm rasch ein kleines, dunkles Fläschchen reichte.
Sofia wich vor Pater Sebastian zurück, als hielte er statt des Fläschchens eine giftige Natter in der Hand.
Wortlos beugte sich der Priester über sie, bog ihr mit Gewalt die Finger der linken Hand auf und ließ etwas Blut aus der Phiole auf ihre Handfläche rinnen. Dann wiederholte er das Ganze mit ihrer rechten Hand.
Der stechende Geruch, der von diesem Blut aufstieg, war widerwärtig. Langsam verteilte es sich auf
ihren Handflächen und versickerte zwischen den Fingern.
Währenddessen lief Pater Sebastian weiterhin um sie herum, sagte dabei mit tiefer Stimme irgendwelche Gebete auf und malte mit den erhobenen Händen seltsame Muster in die Luft.
Sofias Handflächen brannten wie Feuer.
Sie reckte den Kopf, um ihre Hände sehen zu können. Aus Wunden, die wie versengtes Fleisch aussahen, stiegen feine Rauchwölkchen auf. »Ich brenne!«, schrie sie und fand endlich ihre Stimme wieder.
»Bringt
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