Das Teufelslabyrinth
einziges Wort, bellte es so laut, dass Ryan erschrocken zusammenzuckte.
»Sofort!«
Die Spannung im Klassenzimmer stieg spürbar an, nachdem Alito zunächst nichts dergleichen tat, doch unter Mr. Thomas’ starrem Blick, der den Jungen förmlich festnagelte, gab dieser schließlich auf und händigte dem Lehrer das Taschenmesser aus.
»Danke«, sagte Mr. Thomas ganz ruhig. »Und jetzt gehst du hinunter ins Büro und wartest dort auf mich. Am Ende der Stunde komme ich nach, aber ich sage dir schon jetzt, dass du das restliche Schuljahr nicht an unserer Schule verbringen wirst, selbst wenn wir entscheiden sollten, dich nicht anzuzeigen, was, und auch das kann ich dir schon jetzt versichern, nicht passieren wird. Das war’s für dich, Frankie Alito.«
Mit wutverzerrtem Gesicht stand Frankie von seinem Platz auf und rammte im Vorbeigehen Ryan den Ellbogen in die Seite.
»Auch das habe ich gesehen«, sagte Mr. Thomas. »Du machst alles nur noch schlimmer.«
Frankie tat die Bemerkung mit einem Schulterzucken ab und schlurfte betont lässig zur Tür. Dort blieb er stehen, drehte sich noch einmal um, fixierte Ryan mit einem fiesen Blick und lächelte dann.
Es war ein Lächeln, das sich wie ein Pfeil in Ryans Brust bohrte.
»Okay. Die Show ist vorbei«, sagte Mr. Thomas und brach damit das unbehagliche Schweigen, das sich über die Klasse gesenkt hatte. »Zurück zu eurem Test. Ihr habt nur noch zehn Minuten Zeit.«
Doch für Ryan war der Test bereits gelaufen. Er starrte auf die restlichen, noch ungelösten Fragen, las sie durch, wieder und wieder, ohne irgendeinen Sinn hinter den Worten zu erkennen.
Nicht genug, dass er sich über seine Mutter und Tom den Kopf zerbrechen musste. Jetzt musste er sich auch noch mit Frankie Alito und dessen Kumpanen auseinandersetzen, die ihm ohne Zweifel später auf dem Heimweg auflauern würden.
Er drehte den Kopf zur Seite und schaute aus dem Fenster. In der Ferne sah er die Skyline von Boston, und obgleich er sich sicher war, dass das eigentlich nicht möglich war, glaubte er doch, die Turmspitze der St. Isaac’s Highschool erkennen zu können.
Die Schule, die seine Mutter erwähnt hatte, als er neulich nach einem Zusammenstoß mit Frankie Alito mit einem blauen Auge nach Hause gekommen war.
Nur bezweifelte er, dass seine Mutter selbst auf die Idee gekommen war. Nein, er traute sich seinen Kopf darauf zu verwetten, dass Tom Kelly ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt hatte.
Doch als er jetzt vor seinem halbleeren Aufgabenblatt saß und daran dachte, dass er sich später noch auf eine saftige Abreibung von Frankie Alito gefasst machen musste, begann er die Sache in einem anderen Licht zu betrachten.
In dieser St. Isaac’s School könnte es ihm wohl kaum schlechter ergehen als hier auf der Dickinson, überlegte er.
»Die Zeit ist um«, erklärte Mr. Thomas.
2
Bruder Francis stand in der Tür des riesigen Speisesaals der St. Isaac’s Preparatory Academy und ließ auf der Suche nach Kip Adamson den Blick über die Schülerschar schweifen. Mindestens die Hälfte der gut zweihundert Schüler nahm gerade an den langen Tischen das Mittagessen ein. Und obwohl dabei ausgiebig geplappert und gelacht wurde, war es in diesem Saal sehr viel ruhiger als in der kleinen Cafeteria der Schule, die Bruder Francis im letzten Herbst verlassen hatte. Irgendwie hatte er den Eindruck, als ob sich das alte Steingebäude, das den Speisesaal beherbergte, von dem Lärm gestört fühlte, und anstatt derartige Frivolitäten zu dulden, hatte es einen Weg gefunden, den Krach zu absorbieren, den die Schüler veranstalteten, und jedes unangemessen laute Geräusch umgehend zu dämpfen.
Bruder Francis war zwar noch neu an der St. Isaac’s, besaß jedoch die Gabe, Namen an Gesichtern festzumachen, und als er jetzt auf der Suche nach einem bestimmten Gesicht zwischen den Tischen umherging, nickte er den Schülern zu und begrüßte fast alle mit ihrem Vornamen. Kip Adamson jedoch war nirgends zu sehen; am Vormittag hatte er seine Mathematikstunde versäumt, und Schwester Mary David hatte Bruder Francis in den Speisesaal geschickt, um den Grund von Adamsons Fehlen in Erfahrung zu bringen. Schwester Mary Davids Zorn war legendär; keiner der Schüler würde es wagen, ohne einen triftigen Grund ihrem Unterricht fernzubleiben, und sie selbst würde nicht zögern, ihren Zorn über Bruder Francis zu entladen, sollte dieser sich als
unfähig erweisen, das Fehlen des jungen Adamson zu erklären.
Kip musste schon
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