Das Teufelslabyrinth
nach Hause?«
»Meine Familie lebt zu weit weg von hier. Im Westen.« Melody zuckte dabei lässig die Schultern, doch Ryan merkte, dass sie nicht so gleichgültig war, wie sie vorgab zu sein. »Aber sie würden sich wenigstens freuen, wenn ich öfter heimkäme. Sofias Mutter hingegen wohnt direkt hier in Boston, keine Meile von hier entfernt. Aber sie hat irgend so einen reichen Knilch geheiratet, der Sofia nicht leiden kann, deshalb muss sie am Wochenende hierbleiben.«
»Nicht wahr.«
»Doch, sie geht nur am Heiligen Abend nach Hause. Scheint, als seien alle, die hierbleiben müssen, entweder Unruhestifter oder lästige Plagen.«
Ryan fand, dass er in keine der beiden Kategorien passte, doch während er noch versuchte, sich von der Wahrheit seines Gedankens zu überzeugen, regten sich erste Zweifel in ihm. Warum nur? Die Schlägerei - wenn man es überhaupt so nennen kann, wenn man von anderen verprügelt wird - war ja nun nicht seine Schuld gewesen, und wenn seine Mutter ihn übers Wochenende nicht zu Hause haben wollte, warum kam sie dann, um ihn abzuholen? Aber er wusste natürlich, weshalb er überlegte, ob er nicht zur Kategorie »lästige Plagen« zählte.
Tom Kelly.
Von dem er hoffte, dass er nicht dabei sein würde, wenn seine Mutter ihn hier in - er warf einen Blick auf seine Armbanduhr - zwei Minuten abholte. »Oh, oh«, sagte er und wünschte plötzlich, noch eine Stunde mit Melody verbringen zu können. »Jetzt muss ich mich aber beeilen, meine Mom kommt jeden Moment, um mich abzuholen.«
»Also gut dann«, sagte Melody, und wieder bemerkte er den wehmütigen Unterton in ihrer Stimme. »Ruf mich an, wenn du wieder zurück bist, ja?«
»Mache ich«, versprach er und klopfte ihr mit der Hand aufmunternd auf den Rücken. »Bis morgen dann.«
Eine ältere, gebeugte Frau mit einem eingepackten Geschenk in dem kleinen Körbchen ihres Gehwagens mühte sich mit der Tür zu Pater Laughlins Vorzimmer ab, gerade als Ryan den Flur entlangkam. Er hielt ihr die Tür
auf, und sie ging langsam, sich an ihrem Gehwagen festhaltend, hinein.
Ryans Mutter war schon im Büro des Schuldirektors, unterhielt sich mit ihm und winkte Ryan freudig zu, als sie ihn sah.
»Hallo, Schatz«, begrüßte sie ihn und legte ihm den Arm um die Schulter. »Pater Laughlin hat dich gerade sehr gelobt, und ich habe ihm erzählt, dass wir heute Abend essen gehen und deine erste Woche hier feiern.«
»Viel Spaß, Ryan«, sagte Pater Laughlin. »Vergiss nur nicht, morgen Abend wieder zurückzukommen.«
Noch ehe Ryan etwas darauf erwidern konnte, rief die alte Frau mit der Gehhilfe: »Wo ist Jeffrey?«
»Mrs. Holmes?«, begann Pater Laughlin. »Wie nett, Sie …«
»Ich möchte meinen Enkelsohn sehen«, unterbrach sie ihn. »Er hat heute Geburtstag.«
Pater Laughlin sah Teri an, wobei er vielsagend eine Braue hob, und ergriff die Hand der alten Frau. »Kommen Sie doch mit in mein Büro«, schlug er vor und wollte sie sanft durch die Verbindungstür bugsieren.
Mrs. Holmes jedoch entriss dem Priester ihre Hand und beäugte ihn misstrauisch. »Kenne ich Sie? Ich will nur meinen Enkel besuchen.«
Der Priester neigte den Kopf ein wenig herab und legte der alten Dame beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Erinnern Sie sich nicht, dass Sie nach dem Erntedankfest hier waren und wir über Jeffrey gesprochen haben?«
Wieder wich sie erbost vor dem Priester zurück. »Ich will endlich meinen Enkel sehen!«, verlangte sie.
Mit einem Seufzer und einem weiteren hilflosen Blick zu Teri nahm Pater Laughlin die alte Dame freundlich,
aber bestimmt am Ellbogen und schob sie in sein Büro. »Lassen Sie uns hier drinnen weiter miteinander plaudern, Mrs. Holmes, ja?«
Als hätte sie kein Wort von dem verstanden, was er gesagt hatte, rief sie mit schriller Stimme: »Warum ist er nicht hier? Wo ist er? Was habt ihr mit ihm gemacht? «
Statt einer Antwort schenkte Pater Laughlin Teri und Ryan ein betrübtes Lächeln, breitete die Hände in einer um Verständnis bittenden Geste aus und schloss leise die Tür zu seinem Büro hinter sich.
Teri stand da wie vom Donner gerührt und starrte auf die geschlossene Tür.
»Komm«, versuchte Ryan sie zum Gehen zu bewegen, merkte aber gleich, dass sie ihn gar nicht hörte. Er sah ihr an, dass sie an den Montagmorgen dachte, als sie Kip Adamsons Eltern auf der großen Freitreppe zum Haupteingang der Schule begegnet waren.
Nach einer Weile drehte sie sich doch um und folgte ihrem Sohn mit nachdenklich
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