Das Teufelsspiel
hellem, sauber verarbeitetem Holz vertäfelt, und auf dem Boden lag ein dicker brauner Wollteppich, der genau so roch, wie man es von einem braunen Wollteppich erwarten würde. Es gab ein halbes Dutzend Möbelstücke. Die Wohnung erinnerte Thompson an den Freizeitraum, den er und sein Vater damals in Amarillo an den Wochenenden ausgebaut hatten – in ihrem Bungalow, der auf den vom Tornado zerfetzten Wohnwagen gefolgt war.
Aus einem großen Schrank nahm er nun behutsam mehrere Behälter und trug sie zum Tisch, wobei er die Titelmelodie von Pocahontas pfiff. Die Mädchen waren ganz begeistert von dem Film gewesen. Er öffnete seinen Werkzeugkasten, zog sich dicke Gummihandschuhe, eine Gesichtsmaske und eine Schutzbrille über und setzte die Vorrichtung zusammen, die am nächsten Tag Geneva Settle und jeden in ihrer Nähe töten würde.
Sssst …
Das Lied änderte sich; statt Disney erklang Bob Dylans »Forever Young«.
Sobald Boyd den Zusammenbau beendet hatte, überprüfte er vorsichtig die Funktion und war zufrieden. Er verstaute alles, ging ins Badezimmer, streifte die Handschuhe ab und wusch sich dreimal die Hände. Das Pfeifen erstarb, denn er fing an, im Geiste das heutige Mantra aufzusagen.
Traube, Kirsche und Milch … Traube, Kirsche und Milch. Er hörte nie auf, sich auf den Tag vorzubereiten, an dem die Taubheit sich legen würde.
»Wie geht’s, junge Dame?«
»Gut, Detective.«
Mr. Bell stand im Eingang ihres Zimmers und musterte ihr Bett, auf dem Bücher und allerlei Papiere lagen …
»O Mann, ich muss schon sagen, du arbeitest wirklich hart.«
Geneva zuckte die Achseln.
»Ich gehe jetzt nach Hause zu meinen Jungs.«
»Sie haben Kinder?«
»Zwei Söhne. Vielleicht lernst du sie ja mal kennen. Wenn du möchtest.«
»Gern«, sagte sie und dachte: Das wird sowieso nie passieren. »Sind sie zu Hause bei Ihrer Frau?«
»Nein, im Augenblick sind sie bei ihren Großeltern. Ich war verheiratet, aber meine Frau ist gestorben.«
Die Worte gingen Geneva zu Herzen. Sie konnte den tiefen Schmerz dahinter erkennen – seltsamerweise dadurch, dass Bell keine Miene verzog. Es war, als habe er geübt, diese Worte zu sagen, ohne zu weinen. »Das tut mir Leid.«
»Ach, das liegt schon Jahre zurück.«
Sie nickte. »Wo ist Officer Pulaski?«
»Auch schon zu Hause. Er hat eine Tochter. Und das zweite Kind ist unterwegs.«
»Junge oder Mädchen?«, fragte Geneva.
»Ich weiß es nicht. Er kommt morgen früh wieder her. Dann können wir ihn fragen. Dein Onkel ist nebenan, und Miss Lynch bleibt heute Nacht hier.«
»Barbe?«
»Ja.«
»Sie ist nett. Sie hat mir von ihren Hunden erzählt. Und von den neuen Fernsehserien.« Geneva deutete auf ihre Bücher. »Ich habe kaum Zeit, vor dem Fernseher zu sitzen.«
Detective Bell lachte. »Meine Jungs sollten sich von dir eine Scheibe abschneiden. Ich werde euch miteinander bekannt machen, verlass dich drauf. Also, sobald was ist, rufst du nach Barbe.« Er zögerte. »Auch falls du einen Albtraum hast. Ich weiß, dass es manchmal nicht einfach ist, wenn die Eltern weg sind.«
»Ich komme gut allein zurecht«, sagte sie.
»Das glaube ich gern. Trotzdem, ruf wann immer du willst. Dafür sind wir hier.« Er ging zum Fenster, spähte zwischen den Vorhängen hindurch und vergewisserte sich, dass das Fenster geschlossen war. Dann zog er die Vorhänge wieder zu. »Gute Nacht, junge Dame. Hab keine Angst. Wir werden diesen Kerl erwischen, das ist nur eine Frage der Zeit. Es gibt keine Besseren als Mr. Rhyme und die Leute, die mit ihm zusammenarbeiten.«
»Gute Nacht.« Sie war froh, dass er ging. Wahrscheinlich meinte er es nur gut mit ihr, aber Geneva hasste es, wenn man sie wie ein Kind behandelte. Und sie wollte nicht ständig an diese schreckliche Situation erinnert werden. Sie räumte die Bücher vom Bett und stellte den ordentlichen Stapel neben die Tür, damit sie ihn notfalls im Dunkeln finden und mitnehmen konnte, falls sie schnell von hier wegmusste. Das machte sie jeden Abend so.
Danach griff sie in ihre Tasche und holte das getrocknete Veilchen hervor, das Kara, die Illusionistin, ihr geschenkt hatte. Sie betrachtete es eine Weile und legte es dann sorgfältig zwischen die Seiten des obersten Buches im Stapel.
Im Badezimmer wusch sie sich, putzte sich die Zähne und säuberte zum Abschluss das perlmuttfarbene Waschbecken. Ihr fiel das grausige Durcheinander in Keeshs Bad ein, und sie musste unwillkürlich lächeln. Auf dem Flur wünschte Barbe Lynch
Weitere Kostenlose Bücher