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Das Teufelsspiel

Das Teufelsspiel

Titel: Das Teufelsspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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ihr eine gute Nacht. In ihrem Zimmer schloss Geneva die Tür hinter sich ab, zögerte kurz und klemmte dann einen Stuhl unter den Knauf, obwohl sie sich dabei irgendwie albern vorkam. Sie zog sich aus, schlüpfte in Shorts und ein ausgeblichenes T-Shirt, ging zu Bett und schaltete das Licht aus. Zwanzig Minuten lang lag sie verängstigt und mit klopfendem Herzen da und dachte an ihre Mutter, ihren Vater und Keesh.
    Kevin Cheaneys Gesicht kam ihr in den Sinn, doch sie schob es wütend beiseite.
    Dann drehten ihre Gedanken sich schließlich um Charles Singleton, ihren Vorfahren.
    Wie er rannte, rannte, rannte …
    In den Hudson sprang.
    Und sein Geheimnis. Was war so wichtig, dass er alles riskieren würde, um es zu bewahren?
    Sie dachte daran, wie sehr er seine Frau und seinen Sohn liebte.
    Doch der furchtbare Mann aus der Bibliothek ließ ihr keine Ruhe. Oh, vor der Polizei riss sie die Klappe auf. Aber natürlich hatte sie Angst. Die Skimaske, das Geräusch, mit dem der Schlagstock die Puppe getroffen hatte, das Trommeln seiner Schritte hinter ihr. Und nun auch noch dieser andere, der Schwarze mit der Pistole, der beim Schulhof aufgetaucht war.
    Mit diesen Erinnerungen war an Schlaf nicht zu denken.
    Sie öffnete die Augen. Ihr fiel eine andere schlaflose Nacht ein, die schon viele Jahre zurücklag: Die siebenjährige Geneva war aus dem Bett gekrochen und ins Wohnzimmer gegangen. Dort hatte sie den Fernseher eingeschaltet und sich zehn Minuten irgendeiner blöden Sitcom angesehen, bis ihr Vater den Raum betrat.
    »Was machst du denn hier? Was schaust du dir an?« Er musste im Licht blinzeln.
    »Ich kann nicht schlafen.«
    »Dann lies ein Buch. Das ist besser für dich.«
    »Mir ist nicht nach Lesen.«
    »Also gut, dann lese ich dir vor.« Er ging zum Regal. »Das hier wird dir gefallen. Eines der besten Bücher aller Zeiten.«
    Er setzte sich in seinen Lehnsessel, der unter dem Gewicht knarrte und zischte. Geneva schaute zu dem Taschenbuch in seiner Hand, konnte aber den Umschlag nicht erkennen.
    »Hast du’s bequem?«, fragte er.
    »Ja.« Sie lag auf dem Sofa.
    »Mach die Augen zu.«
    »Ich bin nicht müde.«
    »Mach die Augen zu, damit du dir vorstellen kannst, was ich vorlese.«
    »Okay. Was …?«
    »Pst.«
    »Okay.«
    Er fing an. Das Buch hieß Wer die Nachtigall stört. Die ganze nächste Woche las er ihr zur Schlafenszeit daraus vor, es wurde ein richtiges Ritual.
    Geneva Settle kam zu dem Schluss, dass es sich tatsächlich um eines der besten Bücher aller Zeiten handelte – und sie hatte bereits eine Menge Bücher gelesen oder vorgelesen bekommen, obwohl sie erst sieben war. Sie liebte die Hauptfiguren – den ruhigen und starken verwitweten Vater; die Geschwister (Geneva hatte sich immer einen Bruder oder eine Schwester gewünscht). Und auch die eigentliche Geschichte über Mut im Angesicht von Hass und Dummheit war faszinierend.
    Der Roman von Harper Lee hinterließ bei ihr eine bleibende Erinnerung. Und komisch, als sie ihn mit elf noch einmal las, verstand sie sehr viel mehr davon. Dann mit vierzehn sogar noch mehr. Letztes Jahr hatte sie ihn abermals gelesen und im Englischunterricht einen Aufsatz darüber geschrieben, der mit Eins plus bewertet worden war.
    Wer die Nachtigall stört gehörte zu den Büchern des Im-Falle-eines-Feuers-unbedingt-mitnehmen-Stapels, der im Augenblick neben der Zimmertür stand. Es war eines der Bücher, das sie oft in ihrer Tasche mit sich herumtrug, obwohl sie es zurzeit gar nicht las. Und in dieses Buch hatte sie auch Karas Glücksbringer-Veilchen gelegt.
    Heute jedoch entschied sie sich für einen anderen Titel aus dem Stapel. Charles Dickens. Oliver Twist. Sie legte sich hin, stellte das Buch auf ihre Brust und klappte es an der Stelle auf, an der ihr Lesezeichen aus geflochtenem Stroh steckte (sie knickte in keinem Buch jemals die Seiten um, nicht mal in einem Taschenbuch). Dann fing sie an zu lesen. Anfangs flößte ihr das Knarren des alten Hauses noch Angst ein, und das Bild von dem maskierten Mann kehrte zurück, aber schon bald verlor sie sich in der Geschichte. Nicht sehr viel später, nach ungefähr einer Stunde, wurden Geneva Settles Lider schwer und sie schlief endlich ein – nicht durch einen Gutenachtkuss ihrer Mutter oder die tiefe Stimme ihres Vaters, die ein Gebet sprach, sondern durch die besänftigende Wirkung der wunderschönen Worte eines Fremden.
     
     

 … Neunzehn
     
    »Zeit fürs Bett.«
    »Wofür?«, fragte Rhyme und blickte von seinem

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