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Das Teufelsspiel

Das Teufelsspiel

Titel: Das Teufelsspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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los, forderte er sich selbst auf.
    Versuch’s. Jetzt gleich. Beweg deine Finger.
    Er atmete tief durch. Sein Blick war auf die rechte Hand fixiert.
    Nein …
    Seine Schultern sackten herab, so weit es ihnen möglich war, und er sah wieder in das Zimmer. Dachte an all die mühseligen Übungen. Sicher, die Anstrengungen hatten seine Knochendichte, Muskelmasse und Kreislaufwerte verbessert und dadurch die Gefahr einer Infektion und eines neurovaskulären Zwischenfalls verringert.
    Aber in Wahrheit ging es bei diesem Training letztlich um etwas anderes. Die Mediziner sprachen beschönigend von einem »Funktionszugewinn«. Rhymes Übersetzung war weniger unklar: Fühlen und bewegen.
    Genau die Aspekte seiner Genesung, die er beim heutigen Gespräch mit Sherman von sich gewiesen hatte.
    Offen gesagt, er hatte den Arzt belogen. Tief im Innern quälte er sich mit einer nagenden Ungewissheit herum, die er noch keinem anderen eingestanden hatte: Hatten die zahllosen mühseligen Trainingsstunden ihm zu ein wenig mehr körperlichem Empfindungsvermögen verhelfen und ihm die Fähigkeit verliehen, Muskeln zu aktivieren, die sich schon seit Jahren nicht mehr bewegt hatten? Konnte er nun eigenhändig die Schraube am Okular eines Mikroskops drehen, um das Bild einer Faser oder eines Haares scharf zu stellen? Konnte er es spüren, wenn Amelia Sachs seine Hand nahm?
    Im Hinblick auf das Fühlen hatte es vielleicht winzige Fortschritte gegeben. Doch ein C4-Querschnittsgelähmter erlebte ständig Phantomschmerzen und falsche Sinneswahrnehmungen, als wolle das eigene Gehirn ihn verspotten und aus der Fassung bringen. Man spürte eine Fliege über die Haut krabbeln, obwohl dort keine Fliege war. Oder man spürte nicht das Geringste, sah nach unten und begriff, dass ein Becher mit kochend heißem Kaffee umgekippt war und einem soeben das Fleisch verbrühte. Rhyme glaubte jedoch, sein körperliches Empfindungsvermögen habe sich ein wenig gebessert.
    Ah, und was war mit dem entscheidenden Punkt – der Bewegungsfähigkeit? Sie galt als die Krönung der therapeutischen Bemühungen nach Rückenmarksverletzungen.
    Rhyme schaute erneut auf seine rechte Hand, die sich seit dem Unfall nicht mehr bewegen ließ.
    Die Frage ließ sich eindeutig und abschließend beantworten. Phantomschmerzen spielten dabei keine Rolle, genauso wenig irgendwelche Ich-glaube-ich-spüre-womöglich-doch-was-Eindrücke. Sie ließ sich sofort beantworten. Ja oder nein. Dazu waren weder eine Kernspintomographie noch eine dynamische Widerstandsmessung oder sonst irgendein neumodisches Verfahren notwendig, das die Ärzte aus dem Hut zauberten. Rhyme konnte einfach ein paar Impulse durch seine Nervenbahnen zum Muskel schicken und sehen, was passierte.
    Würden die Boten das Ziel erreichen und den Finger veranlassen, sich zu krümmen – was einem Weltrekord im Weitsprung gleichkäme? Oder würde ein toter Nervenstrang ihrer Reise ein abruptes Ende bereiten?
    Rhyme hielt sich für einen tapferen Mann, sowohl physisch als auch charakterlich. In der Zeit vor dem Unfall hatte er bei der Arbeit stets vollen Einsatz gezeigt. Um einen Tatort zu schützen, hatten er und ein Kollege – obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, sich in Sicherheit zu bringen – einst einem entfesselten vierzigköpfigen Pöbelhaufen die Stirn geboten, der den Schauplatz des Verbrechens, einen Laden, plündern wollte. Bei einer anderen Gelegenheit hatte er nach Spuren gesucht, die auf das mögliche Versteck eines entführten Mädchens hindeuteten, während ein verbarrikadierter Täter aus nur fünfzehn Metern Entfernung immer wieder ungezielt in seine Richtung schoss. Und er hatte seine gesamte Karriere aufs Spiel gesetzt, alser einen leitenden Polizeibeamten festnahm, der sich für die Presse in Szene setzen wollte und daher kurzerhand einen Tatort verunreinigte.
    Aber nun verließ ihn der Mut.
    Sein starrer Blick durchbohrte die rechte Hand.
    Ja, nein …
    Falls er versuchte, seinen Finger zu bewegen, und es ihm nicht gelang – falls er nach all den Mühen also nicht mal einen einzigen von Dr. Shermans kleinen Siegen für sich beanspruchen konnte –, wäre das vermutlich das Ende für ihn.
    Die finsteren Gedanken würden zurückkehren, wie eine Woge, die sich weiter und weiter das Ufer hinaufschob, und schließlich würde er ein letztes Mal einen Arzt anrufen – allerdings nicht Sherman, sondern einen grundlegend anderen Standesvertreter. Den Mann von der Lethe Society, einer Vereinigung für

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