Das Teufelsspiel
es eine Weile an und wartete darauf, dass sich bei ihm so etwas wie Stolz einstellte. Nichts geschah. Ach, egal. Er ging auf den Flur und nahm sein Mobiltelefon. »Jemand hat eine Nachricht hinterlassen«, sagte er beiläufig und wählte eine Nummer. »Hallo, hier Thompson. Wie geht’s? Du hast angerufen?«
Jeanne warf ihm nur einen kurzen Blick zu und trocknete dann weiter das Geschirr ab.
»Nein, ehrlich?« Thompson kicherte. Für einen Mann, der nicht lachte, klang er seines Erachtens recht überzeugend. Andererseits hatte er das Gleiche am Morgen in der Bibliothek bei Geneva Settle versucht, um sie in Sicherheit zu wiegen, und das hatte nicht so gut funktioniert. Er ermahnte sich, nicht zu übertreiben. »Mann, das war ja Pech«, sagte er in das ausgeschaltete Telefon. »Na klar. Es wird doch nicht allzu lange dauern, oder? Morgen gehen nämlich die Verhandlungen weiter … ja, genau, wir mussten uns vertagen … Also gut, ich bin in zehn Minuten da.«
Er klappte das Telefon zusammen. »Vern ist drüben bei Joey’s«, sagte er zu Jeanne. »Er hat ’nen Platten.«
Es hatte tatsächlich mal einen Vernon Harber gegeben, aber nun nicht mehr. Thompson hatte ihn vor einigen Jahren getötet. Da er mit Vern vor dessen Ableben recht vertraut gewesen war, hatte er aus ihm einen fiktiven Jugendfreund gemacht, mit dem er sich gelegentlich traf, einen Kumpel. Genau wie der tote echte Vern fuhr der lebende erfundene Vern einen Toyota Supra, hatte eine Freundin namens Renee und erzählte viele lustige Geschichten über seinen Alltag im Hafen, im Geschäft und in seinem Viertel. Thompson merkte sich alle Einzelheiten ganz genau. (Denn er kannte die Regel: Wenn du lügst, dann lüg groß, dreist und präzise.)
»Er ist mit seinem Supra über eine Bierflasche gefahren.«
»Geht es ihm gut?«, fragte Jeanne.
»Ja, es ist beim Einparken passiert. Und jetzt kriegt der Blödmann die Radmuttern nicht gelöst.«
Ob tot oder lebendig, Vern Harber hatte zwei linke Hände.
Thompson brachte die Malutensilien in die Waschküche und weichte den Pinsel in Wasser ein. Dann zog er sich seine Jacke an.
»Oh, könntest du mir auf dem Rückweg fettarme Milch mitbringen?«, bat Jeanne.
»Einen Liter?«
»Das wäre nett.«
»Und ein paar Fruchtriegel!«, rief Lucy.
»Welche Geschmacksrichtung?«
»Traube.«
»Okay. Brit?«
»Kirsche!«, sagte das Mädchen. Dann regte sich etwas in ihrem Gedächtnis. »Bitte«, fügte sie hinzu.
»Traube, Kirsche und Milch.« Dabei wies er auf die jeweilige Bestellerin.
Thompson verließ das Haus und begann auf verschlungenen Pfaden einen Spaziergang durch die Straßen von Queens, wobei er sich des Öfteren vergewisserte, dass niemand ihm folgte. Er sog kalte Luft ein und atmete sie wärmer und als leise Tonfolge wieder aus; es war das Lied, das Celine Dion in Titanic gesungen hatte.
Als er sagte, er würde noch mal weggehen, hatte er Jeanne genau beobachtet. Ihre Sorge um Vern schien echt zu sein, und sie hatte nicht im Mindesten misstrauisch gewirkt, obwohl er einen Mann treffen wollte, der ihr noch nie begegnet war. Aber das war typisch. Heute Abend half er einem Freund. Bei anderen Gelegenheiten sagte er, er wolle noch kurz eine Pferdewette abgeben. Oder sich mit den Jungs auf ein schnelles Bier bei Joey’s treffen. Die Lügen wurden turnusmäßig gewechselt.
Die schlanke Brünette mit dem lockigen Haar stellte nie viele Fragen über seine abendlichen Ausflüge oder seinen angeblichen Vertreterjob, der ihn zu so häufigen Reisen zwang. Sie wollte auch nie wissen, weshalb seine Geschäfte dermaßen geheim waren, dass er sogar sein Arbeitszimmer verschlossen halten musste. Sie war klug und gewitzt, was zwei sehr verschiedene Dinge waren, und die meisten anderen klugen und gewitzten Frauen hätten darauf bestanden, stärker in sein Leben eingebunden zu werden. Nicht aber Jeanne Starke.
Er hatte sie ein paar Jahre zuvor hier in Astoria am Tresen eines Schnellrestaurants kennen gelernt. Damals befand er sich gerade auf Tauchstation, nachdem er in Newark auftragsgemäß einen Drogendealer beseitigt hatte. Er saß neben Jeanne in dem griechischen Imbiss, bat sie um den Ketchup und entschuldigte sich dann, als ihm auffiel, dass sie einen gebrochenen Arm hatte und nicht nach der Flasche greifen konnte. Er fragte, ob es ihr gut gehe und was geschehen sei. Sie wich der Frage aus, obwohl ihr Tränen in die Augen stiegen. Trotzdem kamen sie ins Gespräch.
Schon bald gingen sie miteinander aus. Am
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