Das Teufelsspiel
weiteren Daten der Lackflocken ab. Auch diesmal klingelte nach wenigen Minuten das Telefon, und ein FBI-Techniker erläuterte, der Lack entspräche einem Produkt, das ausschließlich an die Hersteller asiatischer Kampfsportwaffen wie Nunchakus oder Schlagstöcke verkauft wurde. Er fügte hinzu, die Substanz enthalte leider keine Produktmarkierung und werde in großen Mengen gehandelt – was bedeutete, dass sie sich praktisch nicht zurückverfolgen ließ.
»Okay, wir haben einen Vergewaltiger mit einem Nunchaku, fieser Munition, einem blutigen Strick … der Kerl ist ein wandelnder Albtraum.«
Es klingelte an der Tür. Einen Augenblick später führte Thom eine junge Frau herein. Er hatte ihr einen Arm um die Schultern gelegt.
»Seht mal, wer da ist«, rief der Betreuer.
Die schlanke Frau war Ende zwanzig, hatte eine lilafarbene Igelfrisur und ein hübsches Gesicht. Ihre Stretchhose und der Pullover ließen ihre athletische Statur erkennen – die Statur einer Artistin, wusste Rhyme.
»Kara«, sagte er. »Wie schön, Sie wieder zu sehen. Ich nehme an, Sie sind die Spezialistin, die Sachs angerufen hat.«
»Hallo.« Die junge Frau umarmte Amelia, begrüßte die anderen und umschloss Rhymes Finger mit beiden Händen. Sachs stellte ihr Geneva vor, die sie zurückhaltend musterte.
Kara (so ihr Künstlername; der echte blieb ihr Geheimnis) war Illusionistin und Bühnenzauberin. Sie hatte Rhyme und Sachs vor einiger Zeit bei der Aufklärung einer Mordserie geholfen. Der Täter hatte seine Kenntnisse als Verwandlungskünstler und Taschenspieler dazu genutzt, sich den Opfern zu nähern, sie zu ermorden und dann unerkannt zu fliehen.
Die junge Frau wohnte in Greenwich Village, hatte aber bei Sachs’ Anruf gerade ihre Mutter in einem Pflegeheim in Uptown besucht, erklärte sie. Sie plauderten kurz miteinander – Kara stellte derzeit ein Soloprogramm für das Performance Warehouse in SoHo zusammen und war mit einem Akrobaten liiert.
»Wir benötigen Ihre Fachkenntnis«, sagte Rhyme schließlich.
»Sehr gern«, sagte die junge Frau. »Ich werde tun, was ich kann.«
Sachs fasste den Fall für sie zusammen. Als Kara von der versuchten Vergewaltigung hörte, verfinsterte sich ihre Miene. »Wie schrecklich«, flüsterte sie Geneva zu.
Die Schülerin zuckte nur die Achseln.
»Er hatte das hier dabei«, sagte Cooper und hielt die Tarotkarte hoch. »Wir dachten, Sie könnten uns vielleicht etwas dazu sagen.«
Kara hatte Rhyme und Sachs erklärt, die Zauberkunst habe sich in zwei Richtungen entwickelt. Einerseits gebe es die reinen Unterhaltungskünstler, die nicht behaupteten, übersinnliche Fähigkeiten zu besitzen, andererseits jene, die für sich magische Kräfte in Anspruch nahmen. Für Letztere empfand Kara wenig Sympathien sie selbst war einzig und allein eine Bühnenzauberin –, aber da sie in Fachgeschäften für Zaubereibedarf gearbeitet hatte, um Miete und Essen bezahlen zu können, wusste sie einiges über Wahrsagerei.
»Das Tarot ist eine alte Methode der spekulativen Deutung und reicht zurück bis ins Ägypten der Antike«, erläuterte sie. »Die Karten sind unterteilt in das kleine Arkana – das sechsundfünfzig Karten umfasst und ungefähr einem herkömmlichen Spielblatt entspricht – und das große Arkana, das ausschließlich aus Bildkarten besteht und von eins bis einundzwanzig durchnummeriert ist. Es steht gewissermaßen für eine Reise durch das Leben. Der Gehängte ist die zwölfte Karte des großen Arkana.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber etwas ergibt hier keinen Sinn.«
»Was denn?«, fragte Sellitto und rieb sich beiläufig das Gesicht.
»Das ist durchaus keine negative Karte. Sehen Sie sich das Bild doch nur an.«
»Er sieht tatsächlich eher friedfertig aus«, sagte Sachs. »Obwohl er kopfüber hängt.«
»Die Figur auf dem Bild geht auf den altnordischen Gott Odin zurück, der auf der Suche nach innerer Erkenntnis neun Tage an einem Bein hing. Wenn diese Karte aufgedeckt wird, kündigt sie das Streben nach geistiger Erleuchtung an.« Sie wies auf einen Computer. »Darf ich?«
Cooper nickte. Sie rief eine Suchmaschine auf und fand innerhalb weniger Sekunden eine Internetseite. »Wie kann ich das ausdrucken?«
Sachs ging ihr zur Hand, und gleich darauf schob sich ein Blatt aus dem Laserdrucker. Cooper befestigte es an der Tafel. »Das ist die Bedeutung«, sagte Kara.
Der Gehängte bezieht sich nicht darauf, dass jemandem eine Strafe droht. Sein Erscheinen bei einer Weissagung
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