Das Teufelsspiel
einem Pantheon der Virtuosität ließe sich kaum ein einzelner Künstler besonders hervorheben, doch falls es überhaupt einen gab, dann war es vermutlich der Dichter und Romancier Langston Hughes, dessen Anliegen in den schlichten Worten zum Ausdruck kam: Was wird aus einem aufgeschobenen Traum? Vertrocknet er wie eine Rosine in der Sonne? … Oder explodiert er?
Seit jener Zeit wurden Hughes überall im Land Denkmäler errichtet. Eines der mit Sicherheit größten und dynamischsten und wahrscheinlich auch dasjenige, auf das er am stolzesten gewesen wäre, war ein altes, viergeschossiges rotes Backsteingebäude in Harlem, gelegen in der Nähe der Lenox Terrace an der Hundertfünfunddreißigsten Straße.
Wie alle städtischen Schulen hatte auch die Langston Hughes Highschool mit Problemen zu kämpfen. Sie war fortwährend überbelegt und unterfinanziert und verzweifelt darum bemüht, gute Lehrkräfte zu finden und zu halten – sowie die Schüler zur Teilnahme am Unterricht zu motivieren. Der Schulbetrieb litt unter einer hohen Quote von Abbrechern, Gewalt auf den Fluren, Drogen, Banden, Teenagerschwangerschaften und Schulschwänzern. Gleichwohl hatte die Institution Absolventen hervorgebracht, die später Anwälte geworden waren, erfolgreiche Geschäftsleute, Ärzte, Wissenschaftler, Schriftsteller, Tänzer und Musiker, Politiker oder Professoren. Es gab hier siegreiche Sportteams, Kunstvereine und Dutzende von schulischen Arbeitsgemeinschaften.
Für Geneva Settle aber war die Langston Hughes Highschool mehr als diese Statistiken. Sie war ihr Fels in der Brandung, ihre tröstliche Zuflucht. Als die schmutzigen Ziegelmauern in Sicht kamen, ließen die Angst und Nervosität, die ihr seit dem schrecklichen Zwischenfall am Morgen im Museum beständig zugesetzt hatten, spürbar nach.
Detective Bell parkte den Wagen, sah sich nach etwaigen Gefahren um und ließ alle aussteigen. Dann wies er auf eine Straßenecke. »Sie warten da drüben«, sagte er zu dem jungen Officer, Mr. Pulaski.
»Jawohl, Sir.«
»Sie können auch hier warten, falls Sie möchten«, sagte Geneva zu dem Detective.
Er lachte auf. »Ich leiste dir lieber ein wenig Gesellschaft, falls du nichts dagegen hast. Na gut, ich sehe, du hast etwas dagegen. Aber ich glaube, ich komme trotzdem mit.« Er knöpfte sein Jackett zu, um die Waffen zu verbergen. »Es wird schon niemand auf mich achten.« Er hielt das Gemeinschaftskundebuch hoch.
Geneva erwiderte nichts, sondern verzog nur das Gesicht, und sie gingen beide zum Eingang. Am Metalldetektor zeigte das Mädchen seinen Schülerausweis vor. Detective Bell ließ unauffällig seine Dienstmarke aufblitzen und wurde seitlich an dem Gerät vorbeigelassen. Es war kurz vor Beginn der fünften Stunde, die um elf Uhr fünfunddreißig anfangen würde, und auf den Fluren wimmelte es von Schülern, die sich die Beine vertraten, zur Cafeteria wollten, hinaus auf den Schulhof drängten oder zur Straße gingen, um dort einen Snack zu kaufen. Es wurde gescherzt, gezankt, geflirtet, taxiert. Ein oder zwei Raufereien waren im Gang. Es herrschte das reinste Chaos.
»Es ist Essenszeit«, sagte Geneva laut, um den Lärm zu übertönen. »Ich setze mich in die Cafeteria und schaue noch mal in die Bücher. Hier entlang.«
Drei ihrer Freundinnen – Ramona, Challette und Janet – eilten herbei und schlossen sich ihnen an. Es waren intelligente Mädchen, genau wie Geneva. Freundlich, umgänglich, wissbegierig. Dennoch oder vielleicht genau deswegen – standen sie einander nicht übermäßig nahe, denn sie verbrachten kaum Freizeit miteinander. Nach der Schule übten sie Geige oder Klavier, nahmen an Lesezirkeln teil, an Rechtschreibwettbewerben oder naturwissenschaftlichen Arbeitsgruppen – und sie saßen natürlich über ihren Lehrbüchern. Bildung bedeutete Abgeschiedenheit. (Ein Teil von Geneva beneidete insgeheim die anderen Schulcliquen, die Coolen, die Hübschen, die Harten und die politisch Bewegten.) Im Augenblick aber schwirrten auch ihre drei Freundinnen aufgeregt wie eine Schar Hühner um sie herum, drängten sich an sie, bombardierten sie mit Fragen. Hat er dich angefasst? Hast du seinen Schwanz gesehen? War er hart? Hast du mitgekriegt, wie der Typ umgelegt wurde? Wie dicht warst du dran?
Sie hatten alle schon davon gehört – durch Mitschüler, die später zum Unterricht gekommen waren oder geschwänzt hatten und den Fernsehbericht kannten. Obwohl Genevas Name dabei nicht genannt worden war, wusste jeder, um
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