Das Teufelsspiel
Neuling wurde rot. »Wie ich schon sagte, ich hätte es wissen müssen.«
Cooper beugte sich vor und las vom Bildschirm ab. »››3. Mai 1866. Ein weiterer Abend in Gallows Heights … ‹«
»Ah«, unterbrach Rhyme, »unser geheimnisvolles Stadtviertel.« Das Wort »Gallows« – Galgen – ließ ihn wieder an die Tarotkarte denken, auf der ein Mann seelenruhig an einem Bein von einem Balken hing. Rhyme warf einen Blick darauf und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder Cooper zu.
»› … um unser wichtiges Vorhaben zu besprechen, den Vierzehnten Zusatzartikel zur Verfassung. Mehrere Angehörige der Gemeinde der Farbigen in New York und meine Wenigkeit trafen sich, inter alia, mit dem ehrenwerten Gouverneur Fenton und Mitgliedern der Vereinten Wiederaufbaukommission, darunter die Senatoren Harris, Grimes und Fessenden sowie die Kongressabgeordneten Stevens und Washburne und der Demokrat Andrew T. Rogers, der sich als weitaus weniger parteiabhängig erwies als befürchtet.
Gouverneur Fenton leitete das Treffen mit einer bewegenden Ansprache ein. Danach legten wir den Mitgliedern der Kommission eingehend unsere Ansichten über die verschiedenen Entwürfe des Zusatzartikels dar. (Mr. Charles Singleton brachte besonders deutlich zum Ausdruck, dass der Text ein allgemeines Wahlrecht für alle Bürger beinhalten sollte, ob schwarz oder weiß, Frau oder Mann, was die Mitglieder der Kommission zu erörtern versprachen.) Die ausführlichen Diskussionen dauerten bis spät in die Nacht an.‹«
Geneva beugte sich über seine Schulter und las mit. »›Besonders deutlich‹«, flüsterte sie laut. »Und er wollte das Frauenwahlrecht.«
»Hier ist noch ein Eintrag«, sagte Cooper.
»›Fünfundzwanzigster Juni 1867. Der langsame Fortgang bereitet mir Kummer. Es ist inzwischen ein Jahr her, dass der Vierzehnte Zusatzartikel den Bundesstaaten zur Ratifizierung überreicht wurde. Schon nach kurzer Zeit lagen zweiundzwanzig Zustimmungen vor. Nun fehlen nur noch sechs Stimmen, aber wir stoßen auf hartnäckigen Widerstand.
Willard Fish, Charles Singleton und Elijah Walker reisen bislang noch ungehindert durch jene Staaten und bemühen sich nach Kräften, die dortigen Gesetzgeber in unserem Sinne zu beeinflussen. Immer öfter müssen sie jedoch feststellen, dass man sich der Weisheit dieses Gesetzes wider besseres Wissen verschließt – und ihnen stattdessen mit persönlichen Schmähungen, Drohungen und Zorn begegnet. Wir haben so viel geopfert und unser Ziel dennoch nicht erreicht … Soll unser Kriegserfolg sich als wertlos erweisen, als Pyrrhussieg? Ich bete, dass die Sache unseres Volkes in dieser unserer wichtigsten Anstrengung nicht verloren gehen möge.‹« Cooper blickte vom Monitor auf. »Das ist alles.«
»Charles hat also mit Douglass und den anderen am Vierzehnten Zusatzartikel gearbeitet«, sagte Geneva. »Für mich klingt das, als seien sie Freunde gewesen.«
Aber waren sie das wirklich?, dachte Rhyme. Hatte nicht vielleicht der Zeitungsartikel Recht? Hatte Singleton sich in diesen Kreis eingeschlichen, um so viel wie möglich über den Ausbildungsfonds zur Unterstützung Freigelassener herauszufinden und ihn dann zu berauben?
Obwohl Lincoln Rhyme bei jeder forensischen Ermittlung nur die Wahrheit im Blick hatte, hegte er dieses Mal die seltene und sentimentale Hoffnung, Charles Singleton habe das Verbrechen nicht begangen.
Er musterte die Wandtafel und sah dort sehr viel mehr offene Fragen als Antworten.
»Geneva, könntest du deine Tante anrufen und dich erkundigen, ob sie im Hinblick auf Charles weitere Briefe oder irgendetwas anderes gefunden hat?«
Das Mädchen rief die Frau an, mit der Tante Lilly zusammenwohnte. Es hob niemand ab, aber sie hinterließ Rhymes Rufnummer und die Nachricht, eine der beiden möge sich bitte melden. Dann wählte sie noch eine Nummer. Ihre Augen leuchteten auf. »Mom! Seid ihr wieder zu Hause?«
Gott sei Dank, dachte Rhyme. Ihre Eltern waren endlich wieder da.
Doch das Mädchen runzelte die Stirn. »Nein … Was ist denn passiert? … Wann?«
Es gab irgendeine Verzögerung, folgerte Rhyme. Geneva fasste für ihre Mutter den Fortgang der Ereignisse zusammen und versicherte, dass es ihr gut gehe und dass die Polizei auf sie aufpasse. Dann reichte sie den Hörer an Bell weiter, der die Situation etwas ausführlicher erläuterte. Nachdem Geneva sich schließlich von ihren Eltern verabschiedet hatte, legte sie widerstrebend auf.
»Sie hängen in London fest«,
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