Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das tibetische Orakel

Titel: Das tibetische Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
Vom Netzwerk:
zurückgekommen.«
    Die Worte veranlaßten Shan, sich umzudrehen und selbst einen genaueren Blick auf die Anlage zu werfen. »Das Büro für Religiöse Angelegenheiten ist hier?«
    »Überall«, erwiderte der Mönch unentschlossen und schaufelte weiter. Man sprach nicht über die Schreihälse, ebensowenig wie über Kriecher und andere Dämonen.
    »Jemand muß hart gearbeitet haben, um all den Brennstoff herzubringen«, stellte Shan fest.
    »Stimmt«, lautete die nächste lakonische Antwort. »Die Bauern und Hirten dieser Gegend. Es ist bisweilen alles, was sie als Spende aufbringen können. Einmal haben sie sogar auf die eigenen Herdfeuer verzichtet, um das gompa mit Brennstoff zu versorgen.«
    »Du hast gesagt, ihr würdet aus Khangnyi gompa stammen«, erinnerte Shan sich.
    »Richtig. Das Zweite Haus. So lautet der alte Name, der diesem Ort ursprünglich verliehen wurde. Auf der Hochebene im Norden gab es früher ein großes Kloster, das Erste Haus. Das hier war eine Zwischenstation für Reisende auf dem Weg dorthin und für all jene, die darauf warteten, daß die Lamas herunterkommen würden.«
    Shan nahm sich eine Schaufel, die am Stall lehnte, ein altes handgefertigtes Werkzeug mit Holzblatt, und fing an, dem Mönch zu helfen. »Ich hab das schon mal gemacht, aber da war es feuchter«, sagte er nach ein paar Minuten.
    Der Mann hielt mit der Schaufel im Dunghaufen inne. »Feuchter?«
    »Auf Reisfeldern«, sagte Shan. »In der Provinz Liaoning. Ich hatte keine andere Wahl.«
    Der Mann nickte und arbeitete weiter. »Du meinst, man hat dich gezwungen?«
    Shan leerte die Schaufel auf den Wagen. »Soldaten«, bestätigte er. »Meistens blieben sie ein Stück weg, weil es ihnen zu sehr stank. Nur wenn wir aufhörten, sind sie gekommen, um uns mit ihren Bambusstöcken zu schlagen.«
    Schweigend arbeiteten sie weiter. Irgendwo erschallte Musik, die eintönigen Klänge einer chinesischen Oper.
    »Es stank?« fragte der Mönch, nachdem er anscheinend mehrere Minuten über Shans Worte nachgesonnen hatte.
    »Die Soldaten kamen aus der Stadt.«
    Shan seufzte.
    Der Mönch sah ihn nachdenklich an, senkte die Schaufel und streichelte mit einer Hand den Rücken des großen schwarzen Tiers. »Yakdung riecht gar nicht so schlecht.«
    »Das damals war Menschenkot. Er wurde aus dem Umland und den Städten herangekarrt.«
    Der Mann arbeitete weiter. Dann legte er langsam eine Hand auf den Stiel von Shans Schaufel und drückte sie herunter. »Ich heiße Gyalo. Im Grunde meines Herzens bin ich ein rongpa. Vor zwei Jahren wollte man aus den Reihen der Landarbeiter einige Mönche rekrutieren, und meine Großmutter hatte sich schon immer gewünscht, daß ich ins Kloster gehen würde. Man hat mir eine Lizenz erteilt. Wenn es um Belange der Landbevölkerung geht, werde ich zumeist mitgenommen.«
    Er sah Shan gespannt an und wartete auf eine Erwiderung.
    »Es war ein landwirtschaftliches Besserungslager, und ich war damals noch ein Kind. Meine Familie wurde hingeschickt, weil mein Vater als Professor gearbeitet hatte. Eine kleine Armee von Arbeitern brachte uns den Kot auf ihren Fahrradanhängern in großen Tontöpfen. In der Regel haben wir diese dann einfach auf den Reisfeldern ausgeleert. Manchmal jedoch standen die Töpfe lange in der Sonne, so daß der Inhalt eintrocknete und wir ihn mit bloßen Händen herauskratzen mußten. Ich weiß noch genau, wie naß alles wurde, sobald es regnete. Dann fing es richtig an zu stinken und war zu weich, um es mit einer Schaufel anheben zu können.«
    Der Mönch nahm ihn lange und gründlich in Augenschein. »Hier ist es längst nicht so schlimm«, sagte er ernst.
    Shan erwiderte den Blick, und die strenge Miene des Mannes verzog sich langsam zu einem freundlichen Lächeln. »Ist die Wagenladung für die Dorfbewohner bestimmt?«
    »Das gompa will bloß diesen Vorrat loswerden. Zu altmodisch, sagen sie, und es erinnert sie an früher. Es gibt kein gutes Beispiel. Wir müssen dem Volk zeigen, was Wohlstand bedeutet«, sagte er im Tonfall eines Politoffiziers und deutete auf die Stelle, an der das Stallgebäude an die Außenmauer grenzte. Entlang der Wand standen mehrere große Gasflaschen aus Metall. »Haben die Mediziner dich hergeschafft?« fragte er Shan kurz darauf. Es klang, als würden die Ärzte ihre Patienten verhaften.
    Shan schüttelte den Kopf. »Ich war mit meinen Freunden immer noch in den Bergen unterwegs. Auf der Ebene der Blumen haben wir einen Mönch namens Padme gefunden. Jemand hatte

Weitere Kostenlose Bücher