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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Kahn
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diesen brutalen Mördern erzählt hatten: In einem Nachbardorf
     hatten sie fünfzig Männer mit ihren Schwertern geköpft und fünf junge Mädchen verschleppt. Keiner hatte sie jemals wiedergesehen.
     Dass die Kerle jetzt hier wieder groß im Geschäft waren und Tausende von Chinesinnen diese Handys für sie bauten, erfüllte
     ihn mit tiefem Abscheu.
    Er wählte die einzige gespeicherte Nummer und hörte die Stimme desjenigen, der ihm vor langer Zeit und für solche Fälle dieses
     Gerät überreicht hatte, und ihm vor kurzem noch einmal eine Beschreibung des deutschen Diplomaten hatte zukommen lassen.
     
    Decker räkelte sich auf einer der üppigen Couchen im Inneren des Flugzeugs und fand keine bequeme Lage. Es kam ihm vor, als
     lebte er in zwei Welten gleichzeitig. Äußerlich umgeben von Luxus und High Tech, war er innerlich in einer düsteren Vergangenheit
     und den Fantasiegebilden der menschlichen Seele gefangen. Er irrte in den Wirrungen längst vergangener Kriege umher, die ihren
     Schrecken bis heute nicht eingebüßt hatten.
    Er blickte durch das kleine Fenster hinaus auf den Flughafen. Er hatte das Gefühl für Tag und Nacht verloren |175| . Draußen flimmerte heiße Luft, während es drinnen angenehm kühl und dunkel war. Das typische leise Summen der Lüftung im
     Hintergrund war das einzige Geräusch. Decker war in einer künstlichen Welt von allem isoliert. Die Menschen da draußen gingen
     ihrer Arbeit nach. Lebten in ihrer klar abgegrenzten Welt mit ihren Sorgen und Nöten und einfachen Freuden.
    Und er verfolgte Gespenster und die Dämonen der Weltgeschichte. So mussten sich Agenten fühlen. Sie gehörten zu dem engen
     Kreis derer, die wirklich wussten, was abläuft. Sie diskutierten nicht über Geschichte – sie schrieben Geschichte. Die da
     draußen ahnten nichts von alledem.
    Decker blickte auf die Fahrzeuge und Mechaniker, die um das Flugzeug herumwuselten. Aber es gab doch gar nichts zu tun. Die
     Maschine war gecheckt, aufgetankt und konnte jederzeit starten. Es mussten die Leute vom Geheimdienst sein, die ihn beschützten.
     Zum ersten Mal in seinem Leben war er kein Wissenschaftler, sondern stand mitten drin im Geschehen.
    Decker war immer noch fasziniert von den Möglichkeiten, die man ihm bot. Er hatte heute Morgen nur kurz den Wunsch geäußert,
     dass er gern den ehemaligen englischen Botschafter in Tibet sprechen würde. »Noch heute hast du ihn«, hatte Li Mai ihm vor
     einer Weile gesagt. Und dann war sie urplötzlich mit dem Geheimdienstchef aus der Maschine gestürzt und mit quietschenden
     Reifen davongefahren. In die Stadt angeblich.
Als ob wir hier nichts Wichtigeres zu tun hätten
.
    Decker blickte aus dem Fenster auf die schier unendliche Weite des Rollfelds und auf das weit entfernt liegende Terminal.
     Dies sei das größte Gebäude der Welt, hatte Li Mai ihm erzählt. Aus Stahl und Glas. Mal |176| wieder von Sir Norman Foster.
Der hat bei mir direkt nebenan das ehemals höchste Gebäude Europas errichtet und in Berlin die Kuppel auf dem alten Reichstag.
     Sieht alles irgendwie gleich aus. Der nervt auch langsam
. Dann blickte Decker zu den Sicherheitskräften, die draußen auf ihren Positionen standen.
Ich muss mal raus aus dieser Aluröhre!
Es würde schwer sein, unbemerkt an den Sicherheitsleuten vorbeizukommen. Außerdem könnte es riskant werden.
Zu wem gehören diese Typen eigentlich? Und Li Mai?
    Über so ziemlich jeden Geheimdienst der Welt wusste man dank Hollywood bestens Bescheid. Nur nicht über den chinesischen.
     Es war, als existierte er gar nicht. Es gibt da wohl das MSS, das Ministerium für Staatssicherheit, mit seinen verschiedenen
     Büros und Aufgabenbereichen, aber das war es auch schon. Vielleicht entwickelten sich deshalb diese Gerüchte über eine Eliteeinheit,
     deren Ausbildung angeblich so hart war, dass Rekruten dabei starben. Oder die Vermutungen über die Zusammenarbeit des MSS
     mit den berüchtigten 14 K-Triaden .
    Decker blickte misstrauisch auf das Vorfeld hinunter.
    Dann hatte er eine Idee. Luxusjet oder nicht, es musste einen Einstieg zum Frachtraum geben.
     
    »Wo ist denn dieser Decker eigentlich? Warum kann ich ihn nicht einfach erledigen?«
    »Wir haben in Frankfurt seine Spur verloren und die Chinesen halten seinen Aufenthaltsort geheim. Nicht mal unser Botschafter
     weiß es. Allerdings könnte Decker in Peking sein.«
    »Wie kommen Sie darauf?« Göritz schlürfte jetzt zögerlich sein Bier.
    |177| »Noch vor dem Air China

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