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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Kahn
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ihrem Geld auch nur einen einzigen
     Bruchteil in Hilfsorganisationen umgeleitet? Bill Gates mit seinen Milliardenspenden in die medizinische Forschung hat mehr
     für die Menschheit getan, als |197| es der tibetische Gottkönig je tun würde. Haben Sie vielleicht schon mal was von einer tibetischen Mutter Theresa gehört?«
    Woodham machte eine kleine Pause und ergänzte dann: »Und ich sage Ihnen auch, warum. Weil alles Karma ist. Jeder ist für sein
     Elend selbst verantwortlich und selbst daran schuld. Wenn es ihm jetzt dreckig geht, dann muss er eben was tun für ein besseres
     nächstes Leben. Mit dieser Einstellung brauchen sie für die Menschen um sich herum nichts zu tun. Reicht Ihnen das als Antwort
     auf Ihre Frage?«
    Decker blies Luft in seine Backen und sagte: »Sie sind kein Freund des Dalai Lama.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Decker blätterte in seinen Papieren. »Noch einmal zurück zur Geschichte.« Er besann sich auf die eigentliche und wichtigste
     Frage von allen. »Sir, das einzige, worüber mir der General nichts erzählt hat, ist die Invasion selbst.«
    »Ich kann mir denken, warum.«
    »Ich fürchte«, sagte Decker und presste die Lippen zusammen, »ich habe da einen Fehler gemacht. Ich war undiplomatisch.«
    Der Botschafter schüttelte den Kopf. »Ich glaube, der General hätte Ihnen darüber nur ungern die ganze Wahrheit gesagt, junger
     Freund.«
    »Weshalb sollte er?« Decker schaute Li Mai an. Die hob den Zeigefinger und deutete auf den Bildschirm.
    Sir Reginald holte tief Luft. »Die Geschichte, die der General Ihnen erzählt hat, ging noch viel weiter. Die Dämonen der Vergangenheit
     haben China noch einmal eingeholt. Ich nehme an, sein Soldatenstolz hat es ihm verboten davon zu reden.«
    |198| »Wie meinen Sie das? Die Chinesen sind einmarschiert, und fertig. Wo ist das Problem?«
    Woodham lächelte wissend. »Das glauben viele. Aber die Wahrheit ist, die Tibeter haben den Chinesen die Hölle heiß gemacht.
     Peking hätte beinahe den Krieg verloren. Das war das Problem.«
    »Sie scherzen?«
    Li Mai schüttelte den Kopf und antwortete für den Engländer: »Leider nein.«
    Decker glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Moment mal. Das geht mir zu schnell. China soll unterlegen gewesen sein?«
    »Ja.«
    »Das heißt, die Tibeter könnten heute noch in ihrer alten Kultur leben, wenn Seine Heiligkeit nur gewollt hätte?«
    »Ja, wahrscheinlich.«
    »Wenn das wahr ist, dann   ...« Decker wusste nicht weiter. Das würde ja schlichtweg alles auf den Kopf stellen. »Wieso wird er dann weltweit angebetet
     und so hofiert?«
    Das wüssten wir auch gern
, dachte Li Mai im Stillen bei sich.
    »Wird er doch gar nicht«, sagte Sir Reginald. »Es gibt genug Menschen und sogar Tibeter, die ihm den Tod wünschen. Es sind
     eigentlich nur ein paar Amerikaner und die verrückten Europäer, die ihn so verehren. Er hat halt ein gutes Pressebüro.«
    Decker staunte nicht schlecht. Seit er angefangen hatte, in die Geschichte Tibets vorzudringen, war er ständig auf neue Widersprüche
     und Kuriositäten gestoßen. Und nichts war so, wie er es bisher gelesen oder gehört hatte.
    |199| Nichts.
    Der alte Botschafter wartete, bis er sah, dass Decker ihn wieder anblickte, und fuhr dann fort: »Wo fange ich am besten an?«
     Er schien nachzudenken. »Oh, ich weiß. Ich nehme an, der chinesische General hat Ihnen noch nicht von Sun Tzu erzählt?«
    »Nein.« Aber Decker kannte ihn. Er war ein Zeitgenosse von Konfuzius, gehörte zu den Klassikern der antiken Kriegsführung
     in Asien und wird bis heute gelesen. Selbst unter westlichen Managern war er inzwischen in Mode gekommen.
    »Ich darf kurz zitieren«, sagte Woodham.
»Kämpfen und erobern in allen Kriegen ist nicht höchste Brillanz. Höchste Brillanz besteht darin, den Widerstand der Gegner
     zu brechen, ohne zu kämpfen.
Und genau das hat Mao getan. Er hat den Dalai Lama nach Peking eingeladen. Er hat ihn hofiert. Der Dalai Lama war so begeistert,
     dass er sogar einen Aufnahmeantrag in die Kommunistische Partei Chinas gestellt hat, der allerdings abgelehnt wurde.«
    Decker hakte ein: »Das heißt, die Chinesen haben kein Blutbad gewollt?«
    »Nun ja, sie wären militärisch gar nicht in der Lage dazu gewesen. Die Kommunisten wussten, dass Tschiang Kai-schek bei der
     Besetzung Tibets gescheitert war, und deshalb haben sie lieber verhandelt.«
    Decker schüttelte den Kopf. »Soll das heißen, es war gar kein Krieg?«
    »Der kam erst später, aber

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