Das Tibetprojekt
ihn besser nicht sehen. Er beschloss,
sie eine Weile zu verfolgen, in der Hoffnung, der Chinese würde verschwinden und ihm nicht den Spaß verderben. Ansonsten würde
es eben auch für ihn der Tag zum Sterben werden. Mit diesen Gedanken griff Göritz unter sein Jackett und umfasste den soliden
Griff der Waffe. Ein gutes Gefühl.
Der Chinese griff ebenfalls in seinen Kaftan. Göritz verharrte, als er es bemerkte. Er war zwar in einem fremden Land, aber
er wusste, wie ein Mann zur Waffe greift, egal was er für Kleider trug. Das konnte er förmlich spüren.
Das Schlitzauge will Decker ausrauben! Klar, ist ja auch ein idealer Ort für einen Hinterhalt und dieser Idiot mit seinen
Designerklamotten sieht schon von weitem nach Geld aus
.
Als der Chinese tatsächlich ein übel aussehendes Messer hervorzog, überlegte Göritz für einen Moment, ob er eingreifen sollte.
Andererseits, wenn der Kerl den Job für ihn erledigte – um so besser! Die Methode des Chinesen war zumindest geräuschlos.
Dann käme er selbst hier in dieser Mausefalle jedenfalls nicht in Bedrängnis, wo jederzeit nach einem Schuss die Türen aufgehen
und Übereifrige ihm den Fluchtweg verstellen könnten.
Die Idee gefiel ihm gut, und er entschied, gegebenenfalls lediglich sicherzustellen, dass Decker tatsächlich tot war. Er ließ
also die Waffe im Halfter und beobachtete die Szene aus sicherer Entfernung.
Decker war inzwischen nicht mehr so sicher, ob er hier ein Lokal finden würde und überlegte, ob er nicht besser umkehren sollte.
Während er um eine Entscheidung rang, kam der Chinese von hinten angeschlichen. Göritz |189| sah ruhig zu, wie das Messer zum tödlichen Hieb ausholte.
Doch dann runzelte Göritz die Stirn. Der Chinese zuckte mehrfach und fiel von einer Sekunde auf die andere wie ein nasses
Handtuch zu Boden. Was er da sah, gefiel dem Profi ganz und gar nicht.
Und noch etwas machte ihm Sorgen. Trotz der Konzentration auf das Geschehen vor ihm hatte Göritz gleichzeitig ein ihm bekanntes
Geräusch registriert. Oder genauer gesagt gleich mehrere. Aber weil es ein sehr seltenes Geräusch war und es hier so gar keinen
Sinn zu machen schien, hatte er nicht bewusst darauf geachtet. Erst jetzt vergegenwärtigte er sich das pneumatisch pfeifende
Stakkato noch einmal. Es war kaum hörbar gewesen, aber unverkennbar, und es weckte Göritz’ Instinkte. Hellwach sah er sich
nach allen Seiten hin um. War da jemand auf den Dächern? Nichts und niemand zu sehen. Dann blickte er wieder nach vorne. Zu
seiner erneuten Überraschung sah er gerade noch, wie der leblose Körper des Chinesen in einen der Hauseingänge gezogen wurde.
Was läuft hier?
Dann drehte Decker sich um. Göritz ließ blitzartig die Waffe los, schloss sein Jackett, presste sich an die Wand und versuchte
eine Position zu finden, die ihn auch von oben unsichtbar machte. Er hatte keine Erklärung für das, was da gerade passiert
war, aber er hatte den Klang der
Wintowka
erkannt, die den Chinesen getroffen hatte. Er überlegte. Eine Waffe der russischen Spezialeinheiten. Ein kompaktes Präzisionsgewehr,
das auch vollautomatisch arbeitete. Großes Kaliber, geringe Reichweite, aber dafür hohe Mannstoppwirkung. Wer das hier eben
gerade mit Schalldämpfer und leiser Unterschallmunition erledigt hatte, der war gut für den |190| Häuserkampf vorbereitet. Dem ging man besser aus dem Weg.
Als Decker auf ihn zukam, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn passieren zu lassen und möglichst nicht aufzufallen. Das
hieß, er musste seine Deckung aufgeben und riskierte dabei, von dem Scharfschützen mit der Wintowka gesehen zu werden. Göritz
trat zögerlich auf die Straße.
Decker lief vorbei und grüßte beiläufig, ohne den Killer wirklich wahrzunehmen, so wie es zwei Touristen eben auch getan hätten.
Göritz nahm sich zusammen und ging angespannt weiter. Er wartete förmlich auf das erneute Pfeifen und eine Kugel im Rücken.
Aber nichts geschah. Decker ging den Weg bis zur Hauptstraße zurück und verschwand um die Ecke.
Glück für uns beide, Herr Doktor Decker, dachte Göritz und wartete noch etwas, bis auch er die Gasse verließ.
Dann eben beim nächsten Mal. Da bin ich aber im Vorteil. Das Überraschungsmoment wird auf meiner Seite sein.
Und er freute sich geradezu darauf, seine neueste Anschaffung von Heckler & Koch einzuweihen. Damit würde ihm niemand
entwischen.
Decker war kaum zurück im Flugzeug, als er auch schon Li
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