Das Tibetprojekt
Straßen allerdings auch quer durch die Weidegebiete der Kampas.
Und das war ein Fehler, denn die Herden und Weidegründe sind das Heiligtum der Nomaden. Aber zum eigentlichen Konflikt kam
es erst 1959. Da ging es den Chinesen nämlich sehr dreckig. Mao hatte mit seiner Politik des ›Großen Sprungs nach vorn‹ völligen Schiffbruch
erlitten und in ganz China kam es zu Hungersnöten. Statt Geschenke zu verteilen und Straßen zu bauen, fingen die Truppen an,
Lebensmittel zu requirieren, um nicht zu verhungern. Es dauerte noch eine Weile, aber dann kam es zum Aufstand. Die Kampas
legten ihre Stammesfehden nieder und erhoben sich gemeinsam gegen die Chinesen. So passierte schließlich |203| doch noch, was der große Vorsitzende immer zu verhindern versucht hatte.«
»Mein Gott.« Decker erinnerte sich an die Worte des Generals. »Die Armee der Dämonen erwachte!«
»Genau das. Die Nachfahren Schrongtsam Gampos erinnerten sich an ihr Erbe und begannen einen Guerillakrieg. Das war Maos Albtraum.«
Decker versuchte sich vorzustellen, was es bedeuten würde, wenn die Armee der Finsternis heute zuschlagen würde. Aber es waren
andere Zeiten. Er bemerkte: »Aber das war doch Irrsinn. Die chinesischen Streitkräfte hatten gerade die Japaner und dazu die
mit amerikanischem Material ausgerüsteten Truppen Tschiang Kai-scheks besiegt. Sie waren in bester Form und kampferprobt.
Zudem war die Volksbefreiungsarmee die größte der Welt. Welche Chance hätte eine Horde mittelalterlicher Nomaden gegen sie
gehabt?«
»Jede. Das ist ja das Verrückte. Im zerklüfteten Hochgebirge Tibets nützte den Chinesen ihre Technik nicht viel. Es gab ja
keine Straßen, auf denen sie schwere Artillerie oder Panzer hätten bewegen können. Alleine der Nachschub war schon ein Problem,
selbst für kleine Regimenter zu Fuß. Hängebrücken waren beschädigt, es herrschten Temperaturen von bis zu minus 40 Grad Celsius. Die Versorgung mit Munition, Lebensmitteln und Medikamenten brach ständig zusammen und lähmte die Truppen. Die
Flugzeuge konnten zwar Klöster aus der Luft bombardieren, aber keine einzelnen Reiter in den engen Schluchten und zwischen
den riesigen Felsen treffen. Durch den Sauerstoffmangel in 3000 bis 5000 Metern Höhe konnten die chinesischen Soldaten kaum atmen, und selbst ein Marsch von zwei Kilometern war eine Strapaze. Außerdem
gab es keine Karten, und die |204| Chinesen kannten sich in dem feindlichen Gebiet überhaupt nicht aus. Die Kampas hingegen waren hier geboren, an diese Bedingungen
optimal angepasst und kämpfen war für sie so natürlich wie essen. Das wurde den Chinesen zum Verhängnis.«
»Wollen Sie damit sagen, die Kampas waren den Chinesen wirklich überlegen?«
»Und wie. Hier habe ich einen Bericht der
New York Times
aus jenen Tagen für Sie.« Wie von Zauberhand erschien auf dem zweiten Bildschirm ein Zeitungsartikel. »Sehen Sie, es wird
von Tausenden von Nomadenkämpfern berichtet. Es heißt, sie seien getötet worden. Das ist falsch. Das Gegenteil war der Fall.
Die Kampas schlugen mit solch einer Gewalt zu, dass die Lage völlig außer Kontrolle geriet. China hat sogar russische Truppen
zur Unterstützung angefordert. Die Kampas haben gekämpft wie die Geister. Gut zweitausend Soldaten schnitten sie die Nasen
ab und jagten sie in die Eiswüste. Ein Regiment nach dem anderen wurde vernichtet. Die Kampas wüteten mit unvorstellbarer
Grausamkeit unter ihren Feinden.«
Decker dachte an die furchtbare Schlacht bei Liegnitz, damals in Europa. Und an die Narbe im Gesicht des Generals. Mein Gott ... »
Die wenigen von den Chinesen erbauten lebenswichtigen Versorgungsstraßen wurden gesprengt und durch Lawinen auf Jahre hinaus
blockiert. Die Chinesen konnten sich in Tibet nicht mehr bewegen. Als Peking dann Elitetruppen und Fallschirmjäger geschickt
hat, wurden auch die massakriert.«
Decker überlegte laut. »Das war ja wie bei den Römern. Die berühmte Schlacht im Teutoburger Wald, bei der fast 20.000 Legionäre hingemetzelt wurden, weil sie im sumpfigen |205| Wald nicht wie gewohnt manövrieren konnten. Und den Amerikanern in Vietnam und den Russen in Afghanistan ist es ja auch nicht
besser ergangen.«
»Genau. Und wissen Sie, wer noch seine Finger im Spiel hatte? Jemand, der im Kampf gegen den Kommunismus natürlich nicht fehlen
durfte.«
»Sie meinen doch wohl nicht ...«
»Doch, genau die! Lhasa wurde von der CIA unterstützt. Es gab
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