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Das Titanic-Attentat

Das Titanic-Attentat

Titel: Das Titanic-Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Wisnewski
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leeren Plätzen zu Wasser. Mit »until the ladies are off« konnte also nur gemeint sein, »bevor die Frauen weg sind«. Wenn die Frauen allerdings »weg« sind, sind die Männer zum Ertrinken verurteilt. Um welche Sorte »Männer-Allergie« handelte es sich eigentlich bei Lightoller und Kapitän Smith? Waren sie gegen alle Männer allergisch – oder nur gegen bestimmte?
    Obwohl Lightoller in beiden Untersuchungskommissionen als höchstem anwesendem Offizier der
Titanic
insgesamt etwa 1600 Fragen gestellt wurden, wurde merkwürdigerweise keine einzige davon den Umständen des Todes von John Jacob Astor gewidmet. Nicht ein einziges Mal wurde Lightoller danach gefragt, wie es dazu kam, dass der reichste Mann der Welt unter seiner Obhut dem Ertrinkungstod ausgeliefert wurde. Das wäre in etwa so, als hätte ein Feuerwehrmann der Feuerwehr von New York den Milliardär George Soros in ein brennendes Hotel zurückgeschickt und sei danach nicht ein einziges Mal nach dieser merkwürdigen Entscheidung gefragt worden.
     
    Astor-Biographien schildern den Vorgang denn auch anders als Gracie. Nachdem seine schwangere Frau Madeleine mit ihrer Krankenschwester im Boot Platz genommen hatte, stieg Astor demnach auch selbst in das Boot. Daraufhin sagte Lightoller, er habe Befehl, »nur« Frauen und Kinder einsteigen zu lassen. Daraufhin widersprach Astor: »Aber meine Frau ist in anderen Umständen, ich kann sie doch unmöglich alleine lassen.« Ein Äußerung, die man gerne glauben mag. Dennoch erhob sich Astor demnach von seinem Sitz und ging zurück an Deck. [178] Was durchaus mit dem martialischen Auftreten der Besatzung zu tun gehabt haben mag (auch Lightoller war bewaffnet, siehe unten).
    Allerdings hatte Lightoller damit noch nicht gewonnen, denn er musste Ärger befürchten: Astor fragte ostentativ nach der Nummer des Rettungsbootes. Zwar wurde dies in der späteren
Titanic
-Literatur so gedeutet, dass Astor nur seine Frau leichter habe wiederfinden wollen. Aber in Wirklichkeit verstand Lightoller dies als Drohung: Lightoller sei sich sicher gewesen, »dass Astor sich die Nummer hatte nennen lassen, weil er später eine Beschwerde vorbringen wollte«, glauben auch Marschall und Lynch in ihrem Buch über die
Titanic
[179] . Mit anderen Worten waren Astor und Lightoller spätestens nach diesem Vorfall nicht mehr die besten Freunde.
     
    Astor wurde also nicht an Bord des Rettungsboots gelassen, obwohl
     
    seine schwangere Frau an Bord war,
genügend Plätze frei waren,
weder Frauen und Kinder noch Männer um diese Plätze konkurrierten,
das Boot mit mindestens 25 freien Plätzen davonfuhr,
diese freien Plätze nach dem Wassern des Boots für immer verloren waren und niemandem zugutekamen, zumal die Kommandeure der Rettungsboote zum Teil sogar schwimmende Passagiere mit Waffengewalt davon abhielten, in die Boote zu steigen,
Astor selbst Seemann und Jachtbesitzer war und demnach an Bord hätte von Nutzen sein können, während viele Besatzungsmitglieder noch nie ein Ruder in der Hand hatten und schließlich Frauen rudern ließen.
     
    Den ganzen Irrsinn um das Ableben von John Jacob Astor und anderer Männer können wir nur deshalb nicht mehr erfassen, weil er längst in der Kakophonie und im Informationsschlamm des
Titanic
-Desasters untergegangen ist. Die Situation ist untergegangen wie eine kleine informationelle
Titanic
im Meer der Situationen, Geschichten und Anekdoten vom Untergang des Riesenschiffes.
    Astor den Einstieg an der Seite seiner schwangeren Frau zu verweigern war ein bewusster Akt der Barbarei und ein doppelter Irrsinn – erstens menschlich, zweitens logistisch. Weder menschlich noch logistisch ist dieses Vorgehen nachvollziehbar. Wenn sich dieses nicht ganz nahe am Mord bewegte – welches dann?
    Übertragen wir das einmal auf eine andere Notlage, zum Beispiel auf ein brennendes Hotel in einer x-beliebigen Großstadt, wo sich mehrere Personen auf einen Balkon im vierten Stock gerettet haben. Sagen wir: zwei Frauen sowie Bill Gates mit seiner schwangeren Frau. Nehmen wir an, die Feuerwehr kommt nun mit einer Hydraulikdrehleiter vorbei und nimmt die drei Frauen an Bord des Korbs, Gates aber nicht, obwohl noch ein Platz frei gewesen wäre. Der Mann wird zurück in die Flammen geschickt und kommt daraufhin ums Leben. Der Aufschrei um dieses Drama wäre wohl gewaltig. Nicht nur hätte die Feuerwehr zumindest ein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung am Hals – wenn nicht wegen

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