Das Todeswrack
einen Zusammenstoß zu vermeiden, doch die Bewegung war zu hastig, und der Prahm stellte sich seitlich zur Strömung. Nach ein paar heiklen Momenten bekam sie das Boot wieder unter Kontrolle und richtete es aus.
Chi leuchtete voraus. Der unterirdische Fluss erinnerte Gamay an eine Wasserrutsche, allerdings verspürte sie nicht den geringsten Spaß dabei. Vor allem, nachdem im Lichtstrahl etwas an der Decke zu erkennen war, das wie eine dichte Schicht schwarzer Blätter aussah. Tausende rot glühender Punkte reflektierten das Licht.
Gamay hielt den Atem an, weniger aus Angst als wegen des überwältigenden Ammoniakgestanks. »Ich
hasse
Fledermäuse«, murmelte sie und biss die Zähne zusammen.
»Bleiben Sie ruhig, dann wird auch nichts passieren«, warnte Chi.
Der Hinweis war überflüssig. Der Gedanke an ledrige Schwingen und nadelspitze Zähne ließ Gamay von ganz allein erstarren.
Die Tiere blieben jedoch, wo sie waren, und nach einiger Zeit verringerte sich die Anzahl der Fledermäuse immer weiter, bis man schließlich gar keine mehr ausmachen konnte.
»Faszinierend«, sagte Chi. »Ich habe noch nie gesehen, dass ein Fluss so abrupt unter der Erde verschwindet.«
»Bitte verzeihen Sie, Professor Chi, aber für meinen Geschmack hat Ihr Land viel zu viele Höhlen und Löcher im Boden.«
»Si,
Dr. Gamay. Ich fürchte, es ist wie ein Schweizer Käse.«
Gamay versuchte, der Situation eine positive Seite abzugewinnen, fand aber keine.
Sie waren ins Innere der Erde gesogen worden, und es gab keine Garantie dafür, dass sie je wieder herauskommen würden.
Zwar war dies die Route, die auch die
chicleros
benutzten, aber unter Umständen bedeutete das nur, dass sie und Chi schon bald anderen Schmugglern in die Hände fallen würden. Gamay kippte den Motor nach vorn, so dass die Schraube aus dem Wasser gehoben wurde, und benutzte ab jetzt ein Paddel zum Steuern. Immer wenn der Prahm lautstark gegen die Seiten der Höhle schrammte, stießen sie sich mit Händen und Füßen wieder ab.
Gamay packte einen kleinen Stalagmiten und wickelte das Ende der abgeschnittenen Schleppleine darum. Die provisorische Klampe hielt. Sie krochen auf einen Felsvorsprung und entzündeten eine Laterne. Gamay rechnete damit, dass irgendwann ihr Vorratsboot vorbeisausen würde, aber es musste sich irgendwo verfangen haben. Chi bedauerte den Verlust seines Schweinefleischs.
Gamay sagte, vielleicht würden sie es später wieder finden. Ihr würde das Dosenfleisch bestimmt nicht fehlen, aber der Treibstoff und die Wasserflaschen wären recht hilfreich gewesen.
Sie aßen ein paar zähe, kalte Tortillas und erörterten ihre Alternativen. Wie sie feststellten, blieb ihnen nur eine Möglichkeit: Sie mussten weiterfahren. Keiner von beiden sprach aus, was zu befürchten war. Dass nämlich der Fluss in einer Sackgasse endete. Oder überhaupt nicht mehr aufhörte.
Der Gedanke hing wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen.
Sie kletterten zurück ins Boot, warfen den Motor an, um wieder mehr Kontrolle über die Lenkung zu haben, und ließen sich eine weitere halbe Stunde treiben. Die feuchte, modrige Luft rief immer häufiger Hustenanfälle hervor. Gamay fühlte sich, als würde ihre Lunge genauso wie der Rest ihres Körpers anfangen zu schimmeln. Die Strömung schien nachzulassen. Chi, der auch weiterhin vorausleuchtete, rief ihr zu, dass der Fluss ab jetzt wieder fast so breit sei wie oberhalb der Stromschnellen. Er hatte die Laterne in den Bug des Boots gestellt. Der gelbe Lichtschein erhellte anscheinend eine ausgedehnte Höhle.
»Halt!«, brüllte Chi, um das plötzlich widerhallende Motorengeräusch zu übertönen.
Gamay ging vom Gas und riss das Ruder herum. Nur knapp vermied sie eine Kollision mit der schwarzen Wand vor ihnen.
Der Fluss war wieder verschwunden.
Wahrscheinlich noch tiefer hinab, vermutete sie. Sie befanden sich in einem großen Becken. Ein schmaler Seitenarm zweigte vom Hauptstrom ab. In Ermangelung einer anderen Möglichkeit steuerte Gamay den Prahm in diesen offenbar künstlich angelegten Kanal.
Chi machte die Laterne aus, beugte sich vor und starrte in die Dunkelheit. Ein schwaches orangefarbenes Glühen wurde immer größer und heller, je näher sie kamen.
Schließlich erkannten sie eine flackernde Kerosinlampe, die am Pfosten eines kleinen Piers hing. Gamay ließ das Boot neben zwei gleichartige Prahme gleiten, die am Steg angebunden waren, und schaltete den Motor aus. Sie lauschten angestrengt, aber außer
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