Das Todeswrack
ihrem eigenen nervösen Atem hörten sie nichts.
»Ich schätze, die Fahrt ist zu Ende«, sagte Gamay Sie packten ihre verbleibenden Vorräte in Chis Rucksack und schlichen vorsichtig den Pier entlang, der als Verlängerung eines gleich hohen Kalksteinvorsprungs diente und ungefähr so breit wie ein Bürgersteig war. Der Gang wurde breiter, und die unbehauenen Wände wichen glatteren Flächen. Gamay und Chi folgten der Lichterkette und huschten von einer Laterne zur nächsten, bis sie eine große Kammer erreichten. Wände und Decke waren glatt und von rechtwinkligen Einschnitten übersät.
Chi schaute sich um. »Das hier war ein Steinbruch.
Vermutlich wurde hier früher Kalkstein für die Tempel und Häuser gewonnen. Wir befinden uns mitten in einer Anlage der Maya.«
»Ich glaube nicht, dass die alten Maya Kerosinlampen benutzt haben.«
»Da haben Sie Recht. Immerhin heißt das für uns, dass es hier irgendwo einen Eingang geben muss.«
Sie erkundeten die weiteren Räume und fanden Dutzende von Holzkisten, die auf Paletten gestapelt waren. Chi ging die Reihe entlang und schaute in die Kisten. »Unglaublich«, flüsterte er.
»Hier dürften sich mehrere hundert Maya-Artefakte befinden.
Dieser Steinbruch wird zur Lagerung von gestohlenen Altertümern benutzt.«
»Das ergibt einen Sinn«, stimmte Gamay ihm zu. »Die Beute wird über den Fluss hergebracht und von hier aus weiterversandt.« Ihr ging ein Licht auf. »Man braucht Transportfahrzeuge, um die Artefakte von hier wegzuschaffen.«
Chi hörte ihr nicht zu. Er stand vor einigen breiten Regalen, die an der Wand der Kammer angebracht waren. Der Strahl seiner Taschenlampe fuhr über eine Reihe großer Steinblöcke, die nebeneinander auf den Regalböden lagen, als wäre das hier die Auslage eines Grabsteingeschäfts. »Da sind wieder die Boote«, flüsterte er.
Gamay kam zu ihm und bemerkte die eingemeißelten Bilder auf den Steinen. »Die sehen fast genauso aus wie das Relief in der Ruinenstadt.«
»Ja. Wie es scheint, findet die Plünderung in weitaus größerem Maßstab statt, als ich vermutet habe. Die Banditen müssen noch auf weitere vergleichbare archäologische Stätten gestoßen sein.
Sie haben eine motorbetriebene Diamantsäge benutzt, um diese Stücke aus der Wand herauszuschneiden.« Er seufzte auf. »Es ist eine Tragödie.«
Die intellektuelle Neugier war vorübergehend stärker als ihr Überlebensinstinkt. Sie wären vielleicht noch den ganzen Tag hier geblieben und hätten das Material gesichtet, wäre Gamay am anderen Ende des Steinbruchs nicht ein heller weißer Schein aufgefallen.
Tageslicht.
Endlich ein Ausweg aus dieser gruseligen Umgebung. Schon seit sie das Boot verlassen hatten, beschlich Gamay das Gefühl, sie seien nicht allein an diesem Ort. Sie schaute sich kurz um, packte Chi am Arm und zerrte ihn förmlich von den steinernen Artefakten weg.
Das Licht fiel durch eine Öffnung herein, die annähernd so breit wie ein Garagentor war. Darüber wölbte sich ein typischer Torbogen der Maya mit vorspringendem Kragstein. Sie kamen nach draußen. Nach der dunklen Kühle traf sie die drückende Hitze wie ein Schlag ins Gesicht, und das helle Sonnenlicht ließ sie blinzeln. Vor der Öffnung befanden sich eine primitive Laderampe und ein Kran, an dem eine Winde hing. Der Boden rund um die Plattform war von Motoröl durchtränkt und von Reifenspuren aufgewühlt.
Gamay trat nach vorn, um sich die Sache genauer anzusehen.
Dann bemerkte sie eine Bewegung am Rand ihres Gesichtsfelds und hielt inne. Sie schaute nach rechts, dann nach links, und was sie da sah, gefiel ihr gar nicht. Der Eingang des Steinbruchs lag in einer Hügelflanke, und zu beiden Seiten stand jeweils ein Mann. Einer der beiden richtete ein Gewehr auf sie, der andere eine Schrotflinte auf Chi. Außerdem trug jeder der Männer eine Pistole im Gürtel. Gamay und Chi schauten sich an und kamen stillschweigend überein, keine hastigen Bewegungen zu machen. Ihr einziger Fluchtweg war der Höhleneingang, und auch der wurde ihnen gleich darauf versperrt, weil nämlich ein dritter Bewaffneter dort erschien. Ihr Gefühl hatte sie also nicht getrogen, dachte Gamay reumütig.
Alle drei Männer waren so schmutzig und unrasiert wie ihre Gefährten, von denen Gamay und Chi noch vor kurzem gejagt worden waren, aber diese
chicleros
wirkten irgendwie härter und disziplinierter. Es passte ins Bild. Die Männer draußen an der Ausgrabungsstätte standen in der Rangordnung ganz unten.
Sie
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