Das Todeswrack
können. Das Objekt wurde zu einem blauweißen Bus.
Offenbar vom Weg abgekommen, dachte sie. Sie zog ihren Kopf zurück und trank gerade einen neuen Schluck Wasser, als sie das Zischen einer Luftdruckbremse hörte.
Der Bus hatte hinter dem Jeep angehalten. Die Tür ging auf, und brüllend laute mexikanische Musik, vorne hmlich getragen durch Blechblasinstrumente, zerriss mit gewaltiger Dezibelstärke die Grabesstille. Dieser Linienbus verfügte offenbar über alle Lautsprecher, die in Woodstock übrig geblieben waren. Ein einzelner Passagier stieg aus. Er trug die landesübliche Kleidung der Indianer, ein Baumwollhemd, eine ausgebeulte weiße Hose und Sandalen. Auf seinem Kopf befand sich ein fester Strohhut mit leicht nach oben gerollter Krempe.
Wie die meisten Nachfahren der Maya war auch dieser Mann ziemlich klein, kaum größer als einen Meter fünfzig. Er wechselte ein paar schnelle spanische Worte mit dem Busfahrer und winkte zum Abschied. Die Tür schlug zu, und der Bus fuhr mit knirschendem Getriebe wieder an, weiter die Straße entlang, wie eine große rollende Jukebox.
Aua!
Gamay beugte sich vor und schlug mit der flachen Hand nach einem Käfer, der seine Beißzangen in ihre Wade gebohrt hatte.
Als sie wieder in den Rückspiegel schaute, war der Mann verschwunden. Sie sah in den Außenspiegel. Nur der leere Highway. Merkwürdig. Moment! Rechts von sich hörte sie eine Bewegung. Sie erstarrte. Von der Beifahrerseite des Jeeps blickten sie zwei Augen an, die wie kleine schwarze Steine wirkten.
»Dr. Morgan-Trout, nehme ich an.«
Der Mann hatte dieselbe sanfte Stimme mit amerikanische m Akzent, die bei dem Anruf aus Mexiko City mit ihr gesprochen hatte. »Professor Chi?«, erwiderte sie vorsichtig.
»Zu Ihren Diensten.« Er bemerkte, dass Gamay auf die doppelläufige Schrotflinte in seiner Armbeuge starrte. Er senkte die Waffe, so dass sie aus Gamays Blickfeld verschwand. »Tut mir Leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Bitte entschuldigen Sie meine Verspätung. Ich war auf der Jagd und hätte mehr Zeit einkalkulieren müssen. Juan, unser Fahrer, ist ein warmherziger, aber geschwätziger Mann, der allen weiblichen Passagieren ein Gespräch aufdrängt, egal ob jung oder alt. Ich hoffe, Sie haben nicht allzu lange gewartet.«
»Nein, ist schon in Ordnung.« Dieser kleine dunkelhäutige Mann mit dem breiten nussbraunen Gesicht, den hohen Wangenknochen und der langen, leicht gebogenen Nase entsprach nicht ganz dem Bild, das sie erwartet hatte. Sie tadelte sich innerlich dafür, so schablonenhaft gedacht zu haben.
Dr. Chi hatte lange genug in der Welt der Weißen gelebt, um die verlegene Reaktion zu erkennen. Seine steinerne Miene verzog sich keinen Millimeter, aber die dunklen Augen funkelten amüsiert. »Ich muss Sie überrascht haben. Ein Fremder, der plötzlich hier auftaucht, mit einer Waffe, wie ein
bandido.
Verzeihe n Sie bitte mein Aussehen. Wenn ich zu Hause bin, laufe ich wie die Einheimischen herum.«
»Ich
muss mich für meine Unhöflichkeit entschuldigen, Sie einfach draußen in der heißen Sonne stehen zu lassen.« Sie klopfte auf den Sitz neben sich. »Bitte, kommen Sie her in den Schatten.«
»Ich trage meinen Schatten bei mir, aber ich nehme Ihre freundliche Einladung trotzdem gern an.« Er nahm die Jagdtasche aus Segeltuch von der Schulter und den Hut vom Kopf, so dass man die graue Ponyfrisur und die fliehende Stirn sehen konnte. Dann stieg er auf der Beifahrerseite ein. Die Schrotflinte legte er mit aufgeklapptem Lauf vorsichtig zwischen die Sitze, so dass die Mündung nach hinten wies. Die Jagdtasche nahm er auf den Schoß.
»Nach dem Aussehen dieser Tasche zu schließen, war die Jagdwohl recht erfolgreich«, sagte Gamay.
Er seufzte theatralisch. »Ich bin vermutlich der faulste Jäger der Welt. Ich stelle mich an den Straßenrand. Der Bus nimmt mich mit. Ich steige aus. Dann gehe ich in den Wald. Peng, peng. Ich gehe zurück zur Straße und nehme den nächsten Bus.
Auf diese Weise kann ich die angenehme Einsamkeit der Jagd genießen und gleichzeitig gesellschaftlichen Umgang pflegen, indem ich meine Erfolge oder Fehlschläge sogleich mit meinen Nachbarn teile. Am schwierigsten dabei ist es, die Busse abzupassen. Aber ja, heute lief es ganz gut.« Er hob die Jagdtasche. »Zwei dicke Rebhühner.«
Gamay lächelte ihn strahlend an, so dass die kleine Lücke zwischen ihren oberen Schneidezähnen zu sehen war, so wie bei der Schauspielerin Lauren Hutton. Sie war eine attraktive
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