Das Todeswrack
beiseite, um Platz zu schaffen, und holte zwei Klappstühle. Gamay setzte sich und trank einen Schluck. Die kühle, süße Flüssigkeit rann ihre ausgedörrte Kehle hinunter. Das schmeckte besser als edler Champagner.
Schweigend saßen sie einige Augenblicke da und genossen ihre Getränke.
»Vielen Dank, Dr. Chi«, sagte Gamay und ließ sich den Becher erneut füllen, diesmal aus einer Flasche Wasser. »Ich fürchte, ich war doch etwas ausgetrockneter als gedacht.«
»In diesem Land ist es nicht weiter schwierig, Körperflüssigkeit zu verlieren. Und jetzt, da wir uns ein wenig erfrischt haben, gestatten Sie mir die Frage, was ich für Sie tun kann.«
»Wie ich bereits am Telefon sagte, bin ich Meeresbiologin. Ich arbeite an einem Projekt vor der Küste.«
»Ach ja, die Tektituntersuchung der NUMA in der Nähe des Chixulub-Meteorkraters.«
Gamay blickte erstaunt auf. »Sie
wissen
davon?«
Er nickte ernst. »Die Buschtrommeln haben es mir verraten.«
Als er ihren verwirrten Gesichtsausdruck sah, musste er kichern.»Ich bin ein schlechter Lügner«, gestand er. »Ich habe im Museum eine E-Mail aus der NUMA-Zentrale gesehen, in der uns die Untersuchung aus Höflichkeit angekündigt wurde.«
Er griff zu einem Aktenschrank hinüber, öffnete eine Schublade und zog eine Mappe heraus.
»Mal sehen«, sagte er und las dann aus dem Inhalt der Mappe vor. »Gamay Morgan-Trout. Dreißig Jahre alt. Wohnhaft in Georgetown, geboren in Wisconsin. Erfahrene Taucherin. Hat an der Universität von North Carolina Meeresarchäologie studiert und abgeschlossen. Hat dann die Fachrichtung gewechselt, sich an der Scripps Institution of Oceanography eingeschrieben und schließlich einen Doktortitel in Meeresbiologie erworben. Steht in Diensten der weltweit anerkannten National Underwater and Marine Agency«
»Stimmt alles ganz genau«, sagte Gamay und hob eine schöngeschwungene Augenbraue.
»Danke«, sagte Chi und steckte die Mappe zurück in die Schublade. »Genau genommen die Arbeit meiner Sekretärin.
Nach Ihrem Anruf habe ich sie gebeten, auf der Webseite der NUMA vorbeizuschauen. Dort gibt es vollständige Beschreibungen aller laufenden Projekte samt kurzer Biographien der Teilnehmer. Sind Sie irgendwie mit Paul Trout verwandt, dem Tiefseegeologen, dessen Name ebenfalls aufgeführt wurde?«
»Ja, Paul ist mein Mann. Auf der Webseite stand vermutlich nicht zu lesen, dass wir uns in Mexiko kennen gelernt haben.
Wir waren damals auf einer Exkursion in La Paz. Abgesehen davon haben Sie wirklich Ihre Hausaufgaben gemacht.«
»Das liegt an meiner strengen akademischen Ausbildung, fürchte ich.«
»Ich habe auch ein ganz gutes Gedächtnis für Einzelheiten.
Mal sehen, ob ich mich noch erinnern kann.« Gamay schloss die Augen. »Dr. José Chi. Geboren in Quintana Roo auf der Halbinsel Yukatan. Der Vater war Farmer. Hatte hervorragende Noten und wurde von der Regierung auf Privatschulen geschickt. Grundstudium an der Universität von Mexiko.
Hauptstudium und Abschluss an der Harvard University. Gehört nach wie vor dem dortigen namhaften Peabody Museum of Archaeology and Ethnology an. Kurator des National Anthropological Museum in Mexiko. Wurde für seine Beiträge zur Sammlung alter Maya-Inschriften mit dem Mac Arthur Award ausgezeichnet. Arbeitet zurzeit an einem Wörterbuch der Maya-Sprache.«
Sie öffnete die Augen und sah Chis breites Grinsen. Er klatschte leise Beifall. »Bravo, Dr. Morgan-Trout.«
»Bitte, nennen Sie mich Gamay«
»Ein schöner und ungewöhnlicher Name.«
»Mein Vater war Weinkenner. Die Farbe meiner Haare hat ihn an die gleichnamige Traubensorte aus dem Beaujolais erinnert.«
»Eine gute Wahl, Dr. Gamay. Ich muss jedoch eine kleine Korrektur anbringen. Ich bin zwar sehr stolz auf meine Arbeit an dem Wörterbuch, aber die Sammlung ist in Wahrheit das Ergebnis der Beiträge vieler talentierter Leute. Künstler, Fotografen, Kartographen, Katalogisierer und so weiter. Ich habe mich vornehmlich als ›Finder‹ betätigt.«
»Als Finder?«
»
Si
. Ich erkläre es Ihnen. Ich gehe seit meinem achten Lebensjahr auf die Jagd und habe mittlerweile Yukatan, Belize und Guatemala durchwandert. Während meiner Streifzüge bin ich immer wieder auf Ruinen gestoßen. Manche Leute behaupten, ich müsse eine Art Quijabrett in meinem Kopf mit mir herumtragen. Ich vermute, es ist eine Mischung aus dem wachsamen Gespür für seine Umgebung, das ein Jäger unbedingt haben muss, und einfach bloß der zurückgelegten
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