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Das Tor ins Nichts

Titel: Das Tor ins Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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den Kontinent gefolgt. Im Moment regnete es zwar nicht mehr, aber der Himmel sah aus, als wollte er jeden Augenblick auf das Land herabstürzen. Obwohl das ErsteKlasseAbteil geheizt war, glaubte ich die Kälte zu fühlen, die wie ein klammer Hauch über dem Land lag und dem Sommer, der zumindest dem Kalender nach schon vor über einem Monat Einzug gehalten hatte, eine lange Nase drehte. Mißmutig wandte ich mich vom Fenster ab, blickte einen Moment lang auf die zerlesene englische Zeitung, die auf dem freien Platz neben mir lag, und ließ mich zurücksinken. Ich hatte sie auf der Fähre erstanden und kannte sie mittlerweile auswendig. Ich hatte mich dazu entschlossen, Mijnheer DeVries’ Vorschlag anzunehmen und per Schiff und Bahn nach Amsterdam zu fahren, aber inzwischen bereute ich es schon, nicht das Flugzeug genommen zu haben. Es war nicht mehr weit bis Amsterdam kaum zwanzig Minuten, wenn der Zug keine Verspätung hatte , aber nach der langen Reise erschien mir selbst diese kurze Zeitspanne wie eine Ewigkeit. Ich hatte versucht ein wenig zu schlafen, aber das hatte sich als unmöglich herausgestellt. Nicht, daß ich nicht müde war, ganz im Gegenteil. Aber wer einmal mit der niederländischen Eisenbahn gefahren ist, der weiß, wovon ich rede. Die Eisenbahngesellschaft wirbt auf Plakaten für die Schnelligkeit und Bequemlichkeit ihrer Züge, und was das Tempo angeht, hat sie sicher recht. Aber von Bequemlichkeit konnte nun wirklich keine Rede sein. Dazu kam die reizende Gesellschaft, in der ich mich befand ein ganzer Eisenbahnwaggon voller grölender Fußballfans. Ich hasse Fußballfans. Ich hasse auch Fußball. Einmal, vor ein paar Jahren, hatte ich in bierseliger Laune in einem Pub die Vermutung geäußert, daß es sich bei Fußball um einen rituellen Akt handelt, bei dem zweiundzwanzig Oberpriester um die heilige Kugel kämpfen, während am Stadionrand Menschenopfer vollbracht werden. Der Scherz hatte mir die bis dahin schlimmste Tracht Prügel meines Lebens eingebracht. Soviel zu meinem Verhältnis zu Fußballfans. Um das Maß gewisserma ßen vollzumachen, hatte ich das letzte ErsteKlasseAbteil in diesem Wagen erwischt; direkt hinter der dünnen Trennwand zum Nachbarabteil lärmten und randalierten gleich Dutzende dieser besonders unerfreulichen Zeitgenossen, und selbst draußen auf dem Gang standen johlende Gestalten, schwenkten Fahnen in ihren Vereinsfarben oder lange Schals und bemühten sich, die mitgebrachten Alkoholvorräte leerzutrinken.
    Der Zug wurde langsamer. Ein schriller, mißtönender Pfiff erscholl, dann griffen die Bremsen mit einem Geräusch, als kratze eine Gabel über einen Kochtopfboden, und der Zug hielt mit einem letzten, magenumstülpenden Ruck vor einem niedrigen Bahnhofsgebäude.
    Neugierig beugte ich mich vor und spähte aus dem Fenster.
    Das schlechte Wetter schien den Leuten hier auch die Lust am Bahnfahren vergällt zu haben, denn der Bahnsteig war nahezu leer; nur ein ältliches Ehepaar und ein schlanker mittelgroßer Mann unbestimmbaren Alters standen frierend neben den Geleisen. Das Ehepaar verschwand irgendwo im hinteren Teil des Zuges, während der Mann einen Moment unschlüssig stehenblieb, sich plötzlich abrupt umwandte und zielstrebig auf meinen Waggon zuging. Einen Augenblick später hörte ich die Tür schlagen, und fast im selben Moment ruckte der Zug auch schon wieder an. Ich sah, wie der Mann sich draußen auf dem Gang einen Weg durch die Meute bahnte; dann wurde die Tür meines Abteils geöffnet, und er trat ein.
    Ich nickte ihm zu, wie es die Höflichkeit verlangt, wenn man einen Fremden während einer Bahnfahrt trifft, und wollte ebenso höflich den Blick wieder abwenden aber dann weckte etwas an ihm meine Aufmerksamkeit. Ich konnte nicht gleich sagen, was es war, aber irgend etwas stimmte nicht mit ihm.
    Hinter meiner Stirn begann eine schrille Alarmglocke zu läuten, als der Mann mit sonderbar eckigen Bewegungen in das Abteil kam und die Tür hinter sich schloß.
    Und mit einemmal begriff ich.
    Er war zu schwer. Der Boden ächzte unter seinem Gewicht, als hätte er Blei gefrühstückt, und die Wucht, mit der er die Abteiltür schloß, ließ das Glas klirren. Instinktiv richtete ich mich in meinem Sitz auf und musterte ihn genauer.
    Der Mann drehte sich herum, erwiderte meinen Blick mit steinernem Gesicht und ließ sich in den Sitz gegenüber fallen.
    Die Bank zitterte wie unter einem Hammerschlag. Die Sprungfedern in den Polstern quietschten unter seinem

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