Das Tor ins Nichts
Gewicht. Er mußte der schwerste Mensch sein, dem ich jemals begegnet war. Dabei war er nicht einmal so groß wie ich und sogar noch eine Spur schlanker.
Plötzlich wurde ich mir der Tatsache bewußt, daß ich den Fremden noch immer unverwandt anstarrte, lächelte entschuldigend und wandte hastig den Blick ab. Mein Gegenüber war nicht ganz so höflich er starrte mich weiter mit unbewegtem Gesicht an. Der Blick seiner grauen, blitzenden Augen war seltsam beunruhigend. Sie sahen gar nicht aus wie lebende Augen, sondern wirkten vielmehr wie buntbemalte Glaskugeln, und die Härte, die ich darin las, ließ mich schaudern.
Schließlich senkte ich ein zweites Mal den Blick, griff nach der Zeitung neben mir und tat so, als läse ich. Aber ich spürte seinen Blick weiter.
Nach einer Weile wurde es mir zu bunt. Mit einer Geste, die selbst dem dümmsten Trottel klargemacht hätte, daß meine Geduld zu Ende war, senkte ich die Zeitung und blickte den Mann herausfordernd an. »Ist irgend etwas?« fragte ich, nicht unbedingt in höflichem Ton.
Mein Reisegefährte antwortete nicht vielleicht verstand er kein Englisch , aber er lächelte plötzlich und entblößte dabei ein Gebiß, das wie poliertes Silber blitzte. Ich schluckte den Rest der scharfen Zurechtweisung hinunter, die mir auf den Lippen lag, bedachte die Silberzähne mit einem langen, bewußt angewiderten Blick und sah wieder weg. Der Kerl schien zu viele JamesBondFilme gesehen zu haben.
Er starrte mich weiter an, und obwohl ich mich fast krampfhaft bemühte, nicht in seine Richtung zu sehen, spürte ich seinen Blick wie eine eisige Berührung. Wütend faltete ich die Zeitung ganz auseinander, lehnte mich in den Polstern zurück und hielt das Blatt demonstrativ vor das Gesicht.
Aber mein eisenzähniger Mitreisender gab so schnell nicht auf. Es war absurd, aber ich spürte seinen bohrenden Blick durch das Papier hindurch. Und allmählich war er mir nicht mehr nur unangenehm, sondern machte mir regelrecht Angst.
Ich mußte daran denken, daß bis Amsterdam keine Haltestelle mehr kam und das bedeutete, daß ich noch fast zwanzig Minuten lang allein mit diesem Verrückten war. Ich überlegte einen Moment, einfach das Abteil zu wechseln, verwarf den Gedanken aber dann wieder. Zähne aus Metall …
Schön, das war sein Problem. Vermutlich kam ich ihm mit meiner weißen Strähne im Haar genauso bescheuert vor wie er mir. Ich seufzte und verkroch mich noch tiefer hinter meiner Zeitung.
Nach ein paar Sekunden hörte ich die Sitzpolster quietschen, dann schien das gesamte Abteil zu erbeben, als er aufstand und zur Tür ging. Aber er verließ das Abteil nicht, wie ich über den Rand meiner Zeitung hinweg sah, sondern verriegelte im Gegenteil die Tür und ließ die Rollos herunter. Offensichtlich mochte er Fußballfans so wenig wie ich. Gut, wenigstens ein sympathischer Zug an ihm. Mit einer schwerfälligen Bewegung drehte er sich wieder zu nur um und starrte mich weiter an.
Vollends am Ende meiner Geduld angelangt, ließ ich die Zeitung sinken, starrte wütend zu ihm empor und erstarrte.
Eisenzahn stand breitbeinig vor mir. Seine Hände waren halb geöffnet und erhoben, als wollte er mich packen. Sein Gesicht war noch immer so reglos wie eine Wachsmaske, aber in seinen Augen war plötzlich ein Glanz, der mich schaudern ließ.
»Was soll das?« fragte ich. »Was …«
Und dann geschah alles gleichzeitig.
Seine Hände zuckten nach meinem Hals, die Finger wie tödliche Krallen gekrümmt. Im gleichen Augenblick stieß er sein Knie hoch und versuchte mich zwischen die Rippen zu treffen.
Dem Kniestoß wich ich im letzten Moment durch eine blitzartige Drehung aus; seinen Händen nicht mehr.
Die Krallen verfehlten zwar meine Kehle, aber seine Linke fuhr wie eine stählerne Forke neben mir in das Rückenpolster und zerfetzte es, während sich die Finger seiner Rechten in meine Schulter gruben und zudrückten, daß ich glaubte, meine Knochen knirschen zu hören. Ich schrie auf, warf mich im Sitz zur Seite und schlug ihm die Faust gegen das Kinn.
Ein Hieb gegen einen massiven Fels hätte kaum weniger Erfolg gezeigt. Ein greller Schmerz explodierte in meiner Hand und ließ mich erneut aufschreien, während Eisenzahns Gesicht nicht einmal zuckte. Mit einem harten Ruck zerrte er mich herum.
Verzweifelt bäumte ich mich auf, warf mich gleichzeitig zur Seite und nach vorne und versuchte seinen Griff zu sprengen.
Aber der Bursche war stark wie ein Elefant. Und er schien immun
Weitere Kostenlose Bücher