Das Tor ins Nichts
automatisch danach und schüttelte sie. Erst dann wurde mir bewußt, was er überhaupt gesagt hatte.
»Dreistmeer? Sie sind Inspektor Dreistmeer?«
Dreistmeer nickte. »Was ist daran so erstaunlich? Jeremy hat Sie doch zu mir geschickt.«
»Sicher«, antwortete ich verwirrt. »Aber …«
»Haben Sie mich nicht so schnell erwartet?« Dreistmeer zog fragend die Brauen hoch. »Na, jedenfalls bin ich jetzt da. Aber was zum Teufel, mein lieber Mister Craven, tun Sie hier?« Er machte eine weitausholende Handbewegung. »Jeremy erzählte mir am Telefon, daß Sie nicht ganz mittellos sind. Konnten Sie sich kein Hotel leisten?«
Wenn das ein Witz sein sollte, dann war es kein guter. Ich quittierte die Bemerkung mit einem bösen Blick, setzte mich vollends auf und schwang die Beine vom Bett. »Ich bin doch in einem Ho …«, begann ich, sprach dann aber nicht weiter, sondern blickte mich voll plötzlichem Schrecken um. Ich war bisher viel zu benommen gewesen, um auf meine Umgebung zu achten.
Ich war in meinem Hotelzimmer, wie ich behauptet hatte
und auch wieder nicht. Es war derselbe Raum, aber wie hatte er sich verändert! Die Wände waren in schrecklichem Zustand, überall lösten sich die Tapeten, da und dort sah der nackte Putz oder graues, vom Schwamm aufgeweichtes Mauerwerk hervor.
Der Boden war eingefallen, die Bohlen vom Alter verquollen und geborsten, und durch das glaslose Fenster pfiff der Wind herein. Das Bett, auf dem ich erwacht war, war ein einziges Trümmerstück, schräg wie ein gestrandetes Schiff auf nur drei Beinen stehend und mit vermoderten, grauen Fetzen bedeckt.
Das Zimmer war keine Luxussuite gewesen, aber das …
Verstört blickte ich meinen Retter an. »Das ist doch unmöglich«, murmelte ich. »Dieses Zimmer war … vollkommen in Ordnung, als ich heraufgekommen bin.«
Dreistmeer schüttelte den Kopf. »Sie müssen ein schlimmes Zeug geschluckt haben, heute nacht«, erwiderte er lächelnd, aber nicht ganz ohne Mißtrauen. Dann wurde er wieder ernst.
»Ich bin zwar zum erstenmal hier«, sagte er, »aber so, wie das Haus aussieht, muß es seit mindestens zehn Jahren leerstehen.«
»Aber es war völlig intakt, als ich gekommen bin«, protestierte ich. »Ein bißchen heruntergekommen vielleicht, aber sonst völlig intakt. Ich habe mich an der Rezeption eingetragen und vom Portier den Schlüssel zu diesem Zimmer bekommen und …« Ich sprach nicht weiter, als ich den Ausdruck in seinen Augen bemerkte. »Sie glauben mir kein Wort, wie?«
Dreistmeer zögerte. Sein Blick huschte nervös über die Tür zum Bad und kehrte zurück »Nein«, sagte er dann. »Aber das heißt nicht, daß ich glaube, daß Sie lügen.« Er seufzte. »Jeremy hat mich gewarnt, mich auf Überraschungen gefaßt zu machen, wenn ich auf Sie treffe. Aber ich wußte nicht genau, wie er das gemeint hat. Warum sind Sie nicht in das Hotel gezogen, das DeVries für Sie gebucht hat?«
Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr. »Ich war im Hotel Corona «, fuhr Dreistmeer fort, als er meinen fragenden Blick registrierte. »Genauer gesagt, ich war am Bahnhof, gestern abend, um Sie abzuholen.«
»Aha«, sagte ich. Plötzlich fühlte ich mich gar nicht mehr wohl in meiner Haut. »Der Zug hatte Verspätung«, fuhr Dreistmeer fort, und jetzt war ich sicher, mir den lauernden Ton in seiner Stimme nicht nur einzubilden. »Das war allerdings nicht besonders erstaunlich jemand hat sich große Mühe gemacht, den Zug zu demolieren, nach allen Regeln der Kunst. Ein paar Wagen sahen aus wie nach einem Tieffliegerangriff, und die Fahrgäste erzählten eine höchst sonderbare Geschichte. Sie wissen nichts darüber?«
»Nein«, sagte ich hastig. »Ich bin … nicht mit dem Zug gefahren.«
»Ihr Gepäck war im Wagen«, sagte Dreistmeer harmlos.
»Sicher. Ich war so intelligent, in Rotterdam noch einmal auszusteigen, um mir eine Zeitung zu kaufen. Am Kiosk war viel Betrieb. Als ich wieder an den Bahnsteig kam, sah ich den Zug gerade noch abfahren. Ich habe ein Taxi hierhergenommen.«
Dreistmeer schwieg eine ganze Weile. Er glaubte mir kein Wort, das merkte ich genau. Aber dann nickte er nur. »Das war Pech«, sagte er. »Nun ja jedenfalls war ich am Bahnhof, und als Sie nicht im Zug waren, bin ich zum Corona gefahren.
Aber auch dort war kein Robert Craven zu finden.«
»Warum auch?« fragte ich. »Mijnheer DeVries hat im Hotel Carola für mich, gebucht.« Ich griff nach meiner Brieftasche, zog das zusammengefaltete Telegramm von DeVries
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