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Das Tor ins Nichts

Titel: Das Tor ins Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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antwortete sie. »Mein Vater wartet nicht gerne, wissen Sie. Und wir müssen quer durch die Stadt. Der Tempel liegt ein wenig außerhalb Amsterdams.«
    Nun, wenn sie so weiterfuhr, standen die Chancen, daß wir überhaupt je heil an unserem Ziel ankamen, eher schlecht. Ich sagte aber nichts mehr, sondern klammerte mich nur krampfhaft am Haltegriff fest und starrte wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf die Straße.
    »Sie sind also Henk DeVries’ Tochter«, nahm ich das Gespräch nach einer Weile wieder auf. »Wieso sprechen Sie so gut Englisch?«
    »Ich bin in Amerika aufgewachsen«, antwortete Pri. »Mein Vater hat mich erst vor kurzem zu sich geholt. Ich heiße auch eigentlich nicht Pri, sondern Priscilla. Aber den Namen konnte ich noch nie leiden.«
    Priscilla? Ich starrte sie an. Priscilla? In meinem ganzen Leben war mir dieser Name erst ein einziges Mal untergekommen.
    Pri entging meine Überraschung keineswegs. Verwundert wandte sie den Blick und sah mich an. »Was haben Sie?«
    fragte sie.
    »Nichts«, antwortete ich hastig. »Ich … kannte einmal eine Priscilla, das ist alles. Ein ungewöhnlicher Name, heutzutage.«
    »Stimmt«, antwortete Pri. »Deswegen habe ich ihn ja abgelegt.« Sie sah endlich wieder auf die Straße, gab Gas und überholte einen R4, dessen Fahrer bei dem riskanten Manöver so erschrak, daß er um ein Haar im Graben gelandet wäre.
    Priscilla … ich schauderte innerlich. Das war der Name der Frau, die mein Vater geheiratet hatte und die letztendlich die Schuld an seinem Tode trug. Aber davon konnte DeVries unmöglich wissen. Wahrscheinlich war es nur ein Zufall, wenn auch ein sehr sonderbarer.
    Wir sprachen über dies und das, während wir uns DeVries Tempel näherten, und ich erfuhr, daß es sich in Wahrheit um ein umgebautes Herrenhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert handelte, in dem nicht nur Mijnheer DeVries und seine Tochter, sondern auch ein halbes Hundert seiner treuesten Anhänger lebten. DeVries hatte eine Art Loge gegründet, die sich die ›Neuen Templer‹ nannte, eine Namensgebung, die mir irgendwie nicht behagte. Aber Pri versicherte, daß es trotz dieses martialischen Namens dort äußerst friedfertig zuginge; alles wäre wie in einer großen Familie, und man verabscheue nichts so sehr wie Gewalt und Lüge. Nun, letztendlich war das nicht mein Problem. Es stand nirgends geschrieben, daß mir DeVries und seine Anhänger sympathisch sein mußten.
    Nach einer Fahrt von einer halben Stunde verließen wir die asphaltierte Straße und rumpelten eine gute Meile über einen ausgefahrenen Waldweg, ehe wir den Tempel erreichten. Sein Anblick überraschte mich.
    Ich wußte nicht genau, was ich erwartet hatte aber der Tempel war nichts anderes als ein Gutshof, dessen Hauptgebäude allerdings einen eindeutig schloßähnlichen Charakter hatte. Eine zwei Meter hohe, schneeweiß gestrichene Ziegelsteinmauer umgab das ganze Anwesen, und das Tor, durch das der Mercedes rollte, sah massiv genug aus, einem Panzer standzuhalten. Oben auf der Mauer war Stacheldraht ausgerollt, und mir entgingen auch nicht die unauffällig angebrachten Videokameras, die jeden Quadratmeter des Hofes unter Kontrolle hielten. Und wahrscheinlich gab es noch eine ganze Anzahl weiterer, unsichtbarer Alarmeinrichtungen. Der Mann, den ich hergeschickt hatte, hatte nicht übertrieben der Tempel war eine Festung. Sonderbarerweise sah ich keinen Menschen auf dem Hof. Aber ich hörte das Bellen zahlreicher Hunde.
    Sehr großer Hunde, dem Geräusch nach zu urteilen.
    Pri parkte den Wagen direkt vor der breiten Marmortreppe, die zum Hauptgebäude hinaufführte. Wir stiegen aus, und Pri lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, vor mir her.
    Trotz ihrer zarten Statur bereitete es ihr keine sichtliche Mühe, die riesige Eichentür zu öffnen.
    Der fast normale Eindruck, den das Gebäude von außen auf mich gemacht hatte, zerplatzte wie eine Seifenblase, kaum daß ich hinter Pri durch die Tür trat.
    Vor mir breitete sich eine Empfangshalle aus, die in Architektur und Größe ein wenig der meines eigenen Hauses in London ähnelte aber damit hörte die Ähnlichkeit auch schon auf.
    Alle Fenster waren verhängt, und das Licht war matt und düster und flackernd und stammte nur von einer Handvoll Kerzen, die in geschmiedeten Kandelabern an den Wänden blakten. Überall hingen Vorhänge und große, gestickte Wandteppiche, die zum Teil mittelalterliche, zum Teil mystische Motive zeigten. Wo die holzvertäfelten Wände nicht von

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