Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
Waden unter dem langen Rock peitschten. Erste Schmetterlinge und Hummeln sammelten Nektar aus zart duftenden Blüten. Catlin sog die Mischung aus Frühling, feuchter Erde und Sonnenstrahlen tief in sich ein. Der Winter war endgültig vorbei und der Sommer nicht mehr fern. Der Weg zur Schmiede schlängelte sich über Weideflächen an einem kleinen Bach entlang, dann ein Stück durch den Wald und wieder an Feldern und Wiesen vorbei. Die Aussicht, dem Glockengießer schon bald wieder bei der Arbeit zusehen zu dürfen, das herrliche Wetter und das helle Gezwitscher der Vögel erfüllten Catlin mit einer solchen Daseinsfreude, dass sie ihre Lieblingshymne anstimmte. In der Kirche, von den Mönchen gesungen, klang besonders das Halleluja so wunderbar, dass sie unentwegt Gänsehaut bekam. Aus ihrer Kehle aber … Catlin fühlte Bitterkeit in sich aufsteigen. Aus ihrer Kehle kam kein einziger Ton so, wie er sollte. Sie trampelte wütend mit den Füßen und begann noch einmal, doch es klang keinen Deut besser. Warum nur, dachte sie verzweifelt, warum nur kann ich nicht singen, obwohl ich doch jeden einzelnen Ton ganz deutlich in meinem Kopf höre? Sogar die Vögel waren bei ihrem Gesang verstummt. Nur eine Krähe rief ihr ein spöttisches »Krah-krah« zu, bevor sie fortflog, als könne sie diese Missklänge nicht länger ertragen. Empört trat Catlin einen flachen Kiesel in den lieblich plätschernden Bach. Er gluckste gurgelnd, als wolle er sie verhöhnen. Warum nur war die Welt so ungerecht? Catlin hätte alles dafür gegeben, die Töne in ihrem Kopf zum Klingen zu bringen. Und Thomas? Thomas hatte diese göttliche Stimme und wusste sie nicht zu schätzen, sah sie gar eher als Fluch denn als Segen an. Enttäuscht, weil sie vom Herrn nicht mit einer solchen Gabe beschenkt worden war, riss Catlin einen Grashalm aus und rupfte ihn in winzige Stücke. Missmutig stapfte sie voran, bis sie Hufschläge hinter sich vernahm. Sie sprang zur Seite und sah sich nach den Reitern um. Sechs Männer sprengten herbei. Jäger mit Falken und Hunden. Catlin drängte sich ins Gebüsch, um sie durchzulassen, denn der Weg an dieser Stelle war schmal. Die Erde bebte, als sie vorüberritten. Plötzlich aber zügelte einer der Männer sein Pferd, blickte sich um und streckte ihr auffordernd die Hand entgegen. »Steig auf!«, rief er. Der Jagdhund, der neben ihm herlief, kläffte übermütig.
Catlin erschrak, als der Mann sie ansprach, dann aber bemerkte sie die Farben und das Wappen von Roford. »Richard?« Sie sah dem Reiter ins Gesicht, und die Wut über ihren schiefen Gesang war mit einem Schlag vergessen. »Richard!«, jubelte sie. »Was führt dich hierher?«
»Ich bin auf dem Weg zu deinem Vater, um unsere neuen Schwerter abzuholen. Willst du nun aufsteigen oder nicht?«
Catlin nickte eifrig, ergriff die Hand des Reiters und ließ sich aufs Pferd ziehen.
»Nun, dann los, halt dich fest!« Er gab dem Tier die Sporen, um den Abstand zu seinen Begleitern aufzuholen.
Catlin schlang die Arme fest um den Leib ihres Vetters. Sicher träumte jedes Mädchen davon, eines Tages von einem Ritter entführt zu werden, der so stattlich war wie Richard. Er war zehn Jahre älter als sie und der erstgeborene Sohn ihres Onkels William.
Als die Hunde der Falkner aufgeregt kläffend in den Hof der Schmiede rannten, lief Bones ihnen mit gesträubtem Nackenfell und wütendem Gebell entgegen. Er knurrte und fletschte die Zähne.
»Ist gut, Bones!«, rief Catlin und glitt vom Pferd. »Komm her zu mir, komm!« Bones bellte noch einige Male, bevor er schwanzwedelnd zu ihr lief. »So ist es brav«, lobte ihn Catlin. »Was ist mit Knightly? Kommt er auch?«, fragte sie an ihren Vetter gewandt und strahlte ihn erwartungsvoll an.
»Aber ja, liebste Base, wir sind hier verabredet. Ich schätze, er trifft spätestens morgen ein.«
»Dann bleibst du zur Nacht?« Catlin jubelte, als er ihre Vermutung mit einem Nicken bestätigte. »Das ist wunderbar, Richard! Ich gehe gleich ins Haus und sage Elfreda Bescheid, dass wir Gäste haben, ja?«
»Tu das, und lass ordentlich Wasser heiß machen, wir haben Enten mitgebracht.« Richard sah sich nach seinen Männern um, schnippte mit den Fingern und winkte einen Jungen herbei, der wie Catlin so um die vierzehn sein mochte. »Nimm die Enten, und geh mit ihr! Hilf beim Rupfen und Ausnehmen! Und vergiss nicht, Herzen und Lebern sind für die Falken«, trug er ihm auf. »Ich sehe inzwischen in der Schmiede nach, ob unsere
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