Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
groß, dass er auf der Stelle sterben wollte. Wie ein Loch, das sich vor ihm auftat und ihn einsog, riss ihn die Trauer in tiefste Verzweiflung. Nichts ringsum hatte noch irgendeine Bedeutung. Er hörte, dass die Nachbarinnen die Kinder mitnahmen und der Priester zu ihm sprach, doch es war ihm gleich. Die Worte ergaben keinen Sinn, waren wie Gemurmel aus weiter Ferne und fanden keinen Zugang in sein Inneres. Er nahm Merildas Hand, legte sich neben sie und versuchte ihren Körper mit dem seinen zu wärmen. »Ich brauche dich«, flüsterte er der Toten ins Ohr. »Ohne dich hat mein Leben keinen Sinn. Die Werkstatt sollte uns wieder gehören. Dabei habe ich nur an dich gedacht, meine Liebste.« Im Schlaf, in den er schließlich fiel, sprach Merilda zu ihm. Sie tröstete ihn und verlangte, dass er sich besann – auf die Kinder und auf seine Aufgabe als Vater. Versprich mir, dass du weiter um die Werkstatt kämpfst!, glaubte er sie sagen zu hören. Für die Kinder. Er schwor, alles dafür zu tun, dass seine Söhne eines Tages dort Meister wurden. »Ich werde sie lehren, gute Glockengießer zu werden.« Dann riss ihn plötzlich jemand hoch, und er verlor Merilda. Er schlug um sich, wollte sich an der Toten festkrallen, sie für immer in den Armen halten, doch es war vergebens.
»Lass sie gehen, Randal!«, beschwor ihn ein Nachbar, mit dem er hin und wieder ein Ale trank. »Ich verstehe deinen Kummer, mein Freund, doch Merilda ist nicht mehr bei uns. Du aber, du bist hier, und deine Kinder brauchen dich.«
Soll das Werk den Meister loben;
Doch der Segen kommt von oben
Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke
London, im Frühjahr 1232
E adric an die Töne heranzuführen war eine großartige Erfahrung, die Catlin neue Erkenntnisse bescherte. Sie erklomm mit ihm die höchsten Kirchtürme Londons, um die mächtigsten Glocken der Stadt ganz aus der Nähe läuten zu hören, läuten zu fühlen. Catlin begriff nun auch, dass der Wunsch nach einer noch tiefer klingenden Glocke, den John und sie schon so lange hegten, einen ganz einfachen Beweggrund hatte. Je tiefer eine Glocke erklang, desto stärker war der Widerhall in jeder Faser des Körpers, spürbar vom Kopf bis zu den Zehen und bis in die Fingerspitzen. Auch Eadric fühlte den Unterschied der Tonhöhen. Jedes Mal war er begeistert von der Kraft, die ihn durchströmte, wenn er das Glockengeläut am ganzen Leib spürte. Er riss die Augen auf, lachte und weinte, zeigte Catlin die Gänsehaut auf den Armen und jauchzte glücklich. Nicht mehr als drei oder vier großer Glocken hatte es bedurft, um ihn gänzlich für das Handwerk seines Vaters einzunehmen. Neugierig verfolgte er jeden Arbeitsschritt und half, wo immer er konnte.
Zwei größere und drei kleinere Glocken waren schließlich in Auftrag gegeben worden. Damit nichts misslang und weil die Zeit bis zum Osterfest recht knapp bemessen war, hatte Catlin beschlossen, für die eine der beiden größeren und die drei kleineren Glocken eine ältere Rippe von John als Modell zu verwenden, um die neue Rippe anzufertigen. Für die zweite große Glocke dagegen hatte sie die Glockenrippe ganz allein gefertigt. Dabei hatte sie nichts Wesentliches an der üblichen Form verändert, nur Kleinigkeiten, um kein allzu großes Wagnis einzugehen. Es war nicht einfach gewesen, nach Johns Tod neue Aufträge zu beschaffen. Flint hatte noch keinen Ruf als Glockengießer, und Catlin, der man ihr Wissen zwar nicht absprach, war aber als Frau denkbar schlecht geeignet, vernünftige Preise auszuhandeln. Letztendlich hatte sie die Aufträge für die Glocken nur erhalten, weil sie Opfer in Kauf genommen und einem viel zu niedrigen Preis zugestimmt hatte. Nach allen Kosten für Lehm, Steine, Rosshaare, Holzkohle, Zinn und Kupfer blieb ihr und den Ihren kaum genug zum Leben. Trotzdem brauchte sie diese Aufträge, um den Ruf der Gießerei zu festigen.
Zunächst hatten sie und ihre Mitarbeiter also alle Glockenkerne aufgebaut und gebrannt, dann die falschen Glocken gemacht und schließlich die Glockenmäntel in Angriff genommen. Mit dem Trennmittel und der feinsten Lehmschicht hatten sie begonnen und stets darauf geachtet, alle Einzelheiten der Beschriftung aus Wachs, die Eadric unter Catlins Anleitung gefertigt hatte, bis in die letzte Einzelheit auszufüllen. Johns Sohn hatte Freude daran gehabt, die feinen Verzierungen und Buchstaben aus dünn ausgerolltem Wachs zu schneiden und auf die falsche Glocke aufzubringen. Als die falsche Glocke
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