Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
von den Glockenkronen bis hin zum Schmelzofen. Damit die flüssige Glockenspeise jede einzelne Form gleichmäßig von unten nach oben ausfüllen konnte, bauten sie in die Gießrinnen Schieber ein, die sie erst öffnen würden, wenn die jeweils vorhergehende Glockenform vollends befüllt war. Zum Schluss kamen in die Rinnen glühende Kohlen, um den Lehm zu brennen und die Gießrinnen haltbar zu machen, aber auch um sie heiß zu halten, bis der Guss erfolgen würde.
So konnte schließlich nach vielen Monaten harter Arbeit an einem Donnerstagabend der längste Arbeitstag des Glockengießers beginnen und am Freitagnachmittag – in Erinnerung an die Todeszeit Jesu – der Guss erfolgen.
Catlin bereitete sich mit Gebeten vor, gedachte ihres Freundes Nigel, bat den Herrn um Nachsicht für ihre Sünden und die Verfehlungen all jener, die an den Glocken mitwirkten. Dann legte sie eine dicke Lederschürze um, streifte die Ärmel ihres Kleides hinunter und zog Handschuhe an, um sich vor größeren Verbrennungen zu schützen.
Es war ein aufregendes Unterfangen, denn Catlin stellte die Glockenspeise zum ersten Mal allein zusammen. Knapp acht Teile Kupfer brachte sie in den Schmelzofen ein und beobachtete, wie sie sich über dem Feuer aus Holz verflüssigten, dann fügte sie nach und nach gut zwei Teile Zinn hinzu. Wie viel genau, bestimmte die Erfahrung. Die Flammen aus dem Ofen schlugen zum Schornstein hinaus. Catlin hatte seit Tagen das Wetter beobachtet, denn tief hängende Wolken und große Feuchtigkeit hatten Einfluss auf den Guss und mussten bedacht werden.
»Rührt!«, befahl sie. Mit zwei kräftigen Ästen tauchten Randal und Corvinus das oben schwimmende Zinn in die Schmelze ein und vermischten es so mit dem Kupfer, dessen Flamme grün schimmerte und fauchte.
»Gießrinnen säubern!«, ordnete sie schließlich an, denn jeder Einschluss konnte die Klangqualität der Glocken mindern. Sogar Flint, der sich sonst kaum noch in der Werkstatt sehen ließ, hatte sich inzwischen zum Guss eingefunden. Doch statt zu helfen, stand er nur herum und spielte sich auf, während Corvinus, Randal und auch Eadric mit Schaufeln und Reisigbesen die Gießrinnen von den Kohleresten befreiten.
»Jetzt aber los!«, trieb Flint die Arbeitenden an. »Schlaft nicht ein, nun macht schon!«
»Flint, schöpf die Schlacke ab!«, rief Catlin ihm herrisch zu, den Blick immer wieder auf die flüssige Glockenspeise geheftet, um anhand ihrer Farbe die richtige Gießtemperatur einzuschätzen.
Erstaunlicherweise gehorchte er, ohne zu widersprechen, und zog mit einem flachen eisernen Schöpflöffel die heiße Schlacke ab, die oben auf der brodelnden Glockenspeise schwamm.
Als das glühende Gemisch endlich die richtige Farbe hatte, nahm Catlin eine Probe aus dem Ofen, goss in einer vorbereiteten Form einen Stab daraus, zerschlug ihn mit dem Hammer und prüfte die Bruchkanten. »Gleich ist es so weit!«
Alle waren aufs Äußerste gespannt. Die Hitze des Ofens brannte auf den Gesichtern, die Luft war zum Schneiden dick, voller Qualm und Rauch. Als Letztes wurden die Pfropfen aus den Windpfeifen und Zulaufkanälen entfernt, die verhindert hatten, dass die Form verschmutzt wurde, dann wurde es ernst.
Der Priester einer der Gemeinden, die eine Glocke bestellt hatten, hatte sich inzwischen ebenfalls eingefunden. Er sprach ein Gebet, bat den Herrn um seinen Segen, versprengte Weihwasser und sah Catlin erwartungsvoll an.
»Lasst uns mit dem Guss beginnen!«, rief sie, dachte an John und Nigel und betete selbst noch einmal stumm zum Herrn, er möge dem Guss seinen Segen erteilen. »Lasst’s in Gottes Namen rinnen!«, rief sie laut und deutlich, dann nickte sie Randal zu, der am Ofen stand. »Stoß den Zapfen aus, Gott bewahr das Haus!«
Die Glockenspeise schoss aus dem Ofen, ergoss sich in die erste Rinne, leuchtend gelb und orangefarben glühend, erbarmungslos heiß. Mit Eisenstäben stießen sie in die heiße Bronze, damit keine Blasen in die Formen gelangten. Aus den Windpfeifen schossen brennende Gase wie Atem aus den Nüstern eines Drachen hervor.
Die Werkstatt war so aufgeheizt, dass alle schwitzten und achtgeben mussten, die Glockenspeise nicht mit dem kleinsten Tröpfchen Schweiß zu verunreinigen. Alle waren aufs Äußerste angespannt, aufmerksam und voller Angst, dass noch etwas misslingen könnte, bis auch die letzte Form zum Überlaufen gefüllt war. Nun hieß es abwarten.
Am Morgen des dritten Tages nach dem Guss entfernten Catlin und
Weitere Kostenlose Bücher