Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
Vielleicht, indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen
Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke
London, im Februar 1233
C atlin stand in der Werkstatt und starrte auf die Gussrinnen. Erst einen halben Tag war es her, dass sie die Formen mit der Glockenspeise gefüllt hatten. Die kleineren Glocken würden rascher auskühlen, doch die mächtige John, wie sie die Glocke im Stillen nannte, würde noch mehr als eine Woche dazu benötigen. Die Spannung, ob das Werk gelungen war, ob kein Riss, kein Einschluss den Klang verzerrten, ließ sich kaum ertragen. Was, wenn die Glocke misslungen, wenn der Mantel geborsten war? Hatten sie auch die Eisenringe nicht vergessen? Catlins Herz pochte wie wild. Nein. Eisenringe und Hanfverstärkung, sie hatte alles immer wieder geprüft, bis in die letzte Einzelheit. Jeden Schritt der Fertigung war sie im Geist mehrfach durchgegangen. Trotzdem kam ihr die Wartezeit endlos vor. Sie seufzte leise.
»Müde?«, fragte Alan und legte ihr von hinten die Hände auf die Schultern.
Catlin schüttelte den Kopf. »Besorgt, ob sie wohl gelungen ist.«
»Wie Folter will es mir erscheinen, so viele Tage ausharren zu müssen. Weiß ich doch, wie sehr ich leide, wenn ich ein Schwert härte. Ich lausche dem Zischen des Wassers, bilde mir ein, es knistern zu hören, fürchte schon, die Klinge könne spröde werden und misslingen, bange, schwitze und friere zugleich. Die wenigen Augenblicke, bis ich das Schwert aus dem Trog ziehe und sehe, dass es gut ist, kommen mir stets vor wie eine Ewigkeit. Die Erleichterung aber, die du empfinden wirst, das Hochgefühl aus Glück und Triumph, der Freudentaumel, wenn die Glocke zum ersten Mal erklingt, werden dich für alles Bangen entschädigen, so Gott will.«
»So Gott will«, wiederholte Catlin, wandte sich zu Alan um und blickte ihm tief in die Augen. Sie hatte ein Leben an seiner Seite ausgeschlagen, um ihren Traum vom Glockengießen zu erfüllen, weil sie ihn nicht gekannt hatte. Er dagegen hatte in den vergangenen Monaten seine Arbeit, die er so liebte, einfach zurückgelassen, nur um ihr zur Seite zu stehen. Nimm mich in die Arme!, dachte sie sehnsüchtig. Aedwyna hatte ihr erklärt, dass Onkel Alan zugestimmt habe, ihr Vater zu sein, dass sie ihn liebte und ihn nie wieder gehen lassen wollte. »Ich auch nicht«, hatte Catlin ihr ins Ohr geflüstert, und Aedwyna hatte gekichert. »Ich …«, hob Catlin an und errötete bis unter die Haarwurzeln. »Ich liebe dich, Alan«, sagte sie leise.
Alan schloss sie in die Arme. »Ich liebe dich auch, darum bleibe ich für immer bei dir.« Er küsste sie zärtlich. »Sicher finde ich Arbeit in einer Schmiede hier in London«, sagte er. »Ich wollte immer nur, dass du glücklich bist.«
»Ich würde Randal lieber die Werkstatt verpachten und in Saint Edmundsbury Glocken gießen.« Catlin sah mit glänzenden Augen zu ihm auf. »Wenn du die Klöppel schmiedest …« Sie blinzelte, und eine Träne rollte ihr über die Wange. »… und Eadric und Corvinus mitkommen können.«
Alan nickte. »Das wäre wunderbar.«
»Was aber, wenn die Glocke misslungen ist?«
Alan küsste sie auf die Nasenspitze. »Dann schmelzen wir sie ein, und du gießt eine neue.«
Nachwort und historische Anmerkungen
V iele Leser wüssten gern mehr über die Entstehung eines historischen Romans, über die Figuren, die Hintergründe und darüber, welche Personen wirklich gelebt haben. So habe ich mich auch diesmal entschlossen, wieder ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern.
Wenn Sie meine Trilogie Das kupferne Zeichen , Der silberne Falke und Der goldene Thron bereits kennen, dann wissen Sie, dass ich eine große Bewunderin von Guillaume le Maréchal bin, der im vorliegenden Roman nur der alte Maréchal genannt wird. Recherche für einen historischen Roman ist nicht nur spannend und faszinierend, sondern auch in hohem Grad süchtig machend. Stellen Sie sich einfach einmal vor, Sie haben ein Haus geerbt, und in der Wohnung Ihrer – sagen wir – Großtante stehen Fotos von Menschen herum, die Sie nicht kennen, Andenken von Freunden, denen Sie nie begegnet sind. Sie sind enttäuscht und eigentlich schon bereit, alles an einen Trödler zu verkaufen, als Sie plötzlich ein Bild entdecken, auf dem Sie Ihre Großmutter wiedererkennen, die Schwester Ihrer Großtante. Ihre Großmutter ist darauf noch ein Kind, und Sie wissen nur, dass sie es ist, weil das Bild früher bei ihr auf dem Nachttisch stand. Plötzlich werden Sie
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