Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
entschied Knightly grinsend, packte Catlin am Arm und zog sie hinter sich her. »Hast du schon einmal Waldschnepfe oder Kiebitz gegessen? Wahre Delikatessen, kann ich dir sagen, ganz vorzüglich. Selbst auf der königlichen Tafel findest du kaum etwas Besseres!« Er leckte sich genießerisch die Lippen, zählte weitere Leckerbissen auf, die in der Garküche feilgeboten wurden, und begann mit übermütigen Scherzen, sodass Catlin des langen Wartens für keinen Augenblick überdrüssig wurde. Als ihr Magen von den vielen herrlichen Düften auch noch laut knurrte, als sie endlich an die Reihe kamen, keuchte sie vor Lachen und japste nach Luft.
»Nun, dass du doch Hunger hast, wissen wir jetzt wenigstens«, feixte Knightly weiter und kaufte schließlich mehrere großzügige Portionen Fleisch und Fisch.
Überglücklich, weil Richard und Knightly sie mit nach London genommen hatten, aß Catlin so viel wie lange nicht mehr. Das Fleisch war zart, saftig und zugleich kross, der Fisch großartig gewürzt. Knightly füllte ihren Becher dreimal mit süffigem Dünnbier nach, von dem er einen großen Krug erstanden hatte. Als die Glocken aller Kirchen der Stadt zu Mittag läuteten, war Catlin wie berauscht von ihrem Klang, vom Gefühl der Geborgenheit und vermutlich auch von dem schmackhaften Bier. London, dachte sie ergriffen, ist die schönste Stadt auf der Welt. Das Geheimnis liegt in der Glockenrippe, glaubte sie den Glockengießer sagen zu hören. Sie schloss die Augen, lauschte dem eigenartig melodischen Klang der vielen so unterschiedlichen Glocken, staunte und genoss die Resonanz des Metalles in ihrem Innern, die Kraft der Musik, die Schönheit jedes einzelnen Tones.
»Komm, wir wollen weiter!«, forderte Richard sie auf und zupfte sie am Ärmel. Catlin schlug benommen die Augen auf, nickte und folgte ihm schweigend, während sie den Widerhall der Glocken noch immer in sich trug.
St. Edmundsbury war beileibe kein Dorf, und da die Abtei als eine der bedeutendsten Englands galt, zog die Stadt viele Menschen an. London aber, befand Catlin, war unvergleichlich beeindruckender – der Hafen und die Stadt, die breiten Straßen, die vielen Menschen unterschiedlichster Herkunft und das geschäftige Treiben. Immer wieder blieb sie stehen und blickte sich um. Reiter hoch zu Ross drängten sich durch die Menge, die wie Ameisen durch die Gassen wimmelte, denn die meisten Londoner waren zu Fuß unterwegs. Einige schlenderten gemächlich, andere hasteten vorwärts, schoben die Menge ungeduldig vor sich her oder drängelten sich eilends zwischen dem Volk hindurch. Manche zogen oder schoben Handwagen, hier und da saßen Menschen auf der Straße und bettelten oder bewegten sich mühsam mithilfe von Krücken vorwärts. Tauben und Schwalben hockten auf den Dächern, Falken und Habichte auf den Fäusten wohlhabender Männer. Schweine suchten die Gassen nach Abfällen ab, Ratten und Mäuse fraßen sich durch die Vorräte, Hunde und Katzen jagten einander, und überall stand Federvieh in viel zu kleinen Holzställen zusammengepfercht. Kinder spielten im Unrat, spuckten, fluchten oder prügelten sich. Heruntergekommene Burschen in Lumpen lasen die Hinterlassenschaften von Pferden und Maultieren auf, um sie als Dünger an jene Haushalte zu verkaufen, die hinter ihren Wohnstätten einen Obst- oder Gemüsegarten angelegt hatten. Nachttöpfe in die Gasse zu entleeren war verständlicherweise verboten. Als eine Frau ihr Nachtgeschirr trotzdem aus dem Fenster goss, erntete sie laute Schelte und Flüche von Männern und Frauen, denen die eklige Nässe auf die Köpfe getropft war. Ein feister Mann mit Stiernacken und rot unterlaufenen Augen drohte ihr gar Prügel an. Darum schloss sie rasch die Fensterläden und hütete sich davor, die Tür zu öffnen, als er mit den Fäusten dagegentrommelte.
Einige Schritte weiter, in der Schweineschlächtergasse, stank es so abscheulich nach Blut und Kot aus den Innereien der geschlachteten Tiere, nach der Verwesung von Fleischabfällen und Rattendreck, dass Catlin speiübel wurde. In der Gerbergasse nebenan war es kaum besser, denn dort entstieg der Gerberlohe ein scharfer, stechender Geruch nach Urin, Eichenrinde und Tierhäuten. Einige Straßen weiter aber, in der Bäckergasse, duftete es plötzlich verlockend nach dunklem, frisch gebackenem Brot und Gewürzkuchen mit Früchten, Mandeln und Honig.
Als sie die Schuhmachergasse erreichten, staunte Catlin, wie viel unterschiedliches Schuhwerk es dort zu kaufen
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