Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
Tontopf im Regal und drängte Catlin zum Gehen. »Mein Vater kommt sicher gleich zurück, und wenn meine Mutter in der Küche fertig ist, dann schimpft sie, wenn ich nicht an meiner Arbeit sitze. Ist besser, wenn sie dich nicht sieht. Auch deswegen …« Sie deutete auf die Münzen.
»Du musst sie für mich stehlen?« Catlin plagte das schlechte Gewissen. »Ich werde sie deiner Mutter irgendwann zurückzahlen, sag ihr das!«
»Gewiss doch, mach dir keine Gedanken darum. Geh und finde dein Glück! Das habe ich auch vor, obwohl ich noch nicht weiß, wie und wo ich danach suchen soll. Doch ewig ertrage ich die Launen meiner Mutter nicht, so viel steht fest.« Mabel lächelte der Freundin aufmunternd zu.
»Kümmerst du dich ein bisschen um Winnie?« Catlin fühlte sich elend, weil sie alle ihre Lieben im Stich ließ, um einem Traum nachzujagen.
»Oh, ich vermute, das wird Duncan tun, und zwar sicher viel besser, als ich es könnte.« Sie schmunzelte. »Ich glaube, aus den beiden wird einmal ein Paar.«
»Mabel!«, schrillte die Stimme ihrer Mutter aus der Küche. »Mabel, komm her und hilf mir!« Sie klang ungnädig wie immer.
»Ich muss zu ihr, aber wir sehen uns wieder.« Mabel umarmte Catlin noch einmal kurz. »Versprochen.« Sie verschwand im hinteren Teil des schmalen, dunklen Flures. »Ich komme, Mutter!«
Einen Augenblick lang zögerte Catlin noch, dann öffnete sie die Tür, trat über die Schwelle und wandte sich nach links.
»Norwich«, flüsterte sie. Irgendwo im Norden lag dieser Ort, so hatte der Glockengießer gesagt.
»Nanu, was führt denn eine so reizende junge Dame in unsere Stadt? Und so allein?«, gurrte jemand widerwärtig schmalzig und umfasste Catlins Hüften plump mit beiden Händen. »Hast du keinen Beschützer, mein Täubchen? Ist nicht ungefährlich für ein wohlgeformtes junges Ding wie dich.« Der Mann legte den Arm schwer um Catlins Schultern und zog sie an sich.
Nicht mehr als drei Tage hatte sie bis Norwich gebraucht, doch jeder einzelne dieser Tage war ihr unendlich lang erschienen. Ihr Körper fühlte sich an, als bestünde er aus Blei, ihr Kopf schmerzte, als wolle er bersten, ihre Glieder waren steif, die Gelenke wie knotig. Zuweilen fror sie so stark, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen, obwohl es gar nicht kalt war, dann wieder rann ihr der Schweiß in Strömen von der Stirn. Unterwegs hatte sie einmal in einer Scheune geschlafen, zweimal unter freiem Himmel. Albträume hatten sie aus dem kaum erholsamen Schlaf gerissen. Ihr Kopf war heiß, ihre Wangen glühten, und durch die Nase konnte sie schon seit dem Vortag keine Luft mehr bekommen. Sie zitterte am ganzen Körper, und unter der Last des fremden Arms auf ihren Schultern brach sie vor Verzweiflung fast zusammen. Sie wagte den Fremden nicht anzusehen, konnte sie doch nur noch mit Mühe ein Bein vor das andere setzen. Wie sollte sie sich da dieser Umarmung entledigen?
»Komm, mein Honigschnäuzchen!«, hörte sie den Kerl säuseln. »Bei mir und meinen Mädchen ist es ruhiger.« Er versuchte sie in eine dunkle Gasse zu zerren.
Catlin würde übel, als sie seinen fauligen Atem roch. Neben ihm stolzierten zwei grell geschminkte junge Frauen einher. Sie trugen gestreifte Tücher um die Schultern und rissen beim Lachen die blutroten Münder auf. Mit seinen Mädchen meinte er offenbar Huren! Catlin wurde von Panik ergriffen. Sie wollte sich wehren, sich aus der Umklammerung befreien und weglaufen. Nur fort von hier! Alles drehte sich. Der Boden drohte sie zu verschlingen wie ein gieriger Schlund.
»Gebt lieber auf Euren Beutel acht!«, rief jemand, dann flog die Börse des Zuhälters in hohem Bogen durch die Luft. Münzen fielen klimpernd zu Boden.
Der Mann stieß Catlin fort, stürzte sich, wüste Beschimpfungen brüllend, auf die Münzen im Dreck und schlug wie von Sinnen um sich, damit ihm niemand auch nur einen Penny streitig machen konnte.
Catlin war kaum noch in der Lage, sich auf den Beinen zu halten, als sie plötzlich am Arm gepackt und fortgerissen wurde.
Der Wind pfiff und heulte, rüttelte an Türen und Fensterläden, riss bunte Blätter von den Bäumen und trieb sie vor sich her. Randal zog die Kapuze seiner Gugel über den Kopf und suchte Schutz im Windschatten einer Mauer. Wochenlang zog er schon umher, immer auf der Suche nach Arbeit. Hier und da hatte er sich als Helfer verdingen können, doch von der Hand in den Mund zu leben, mit schlecht bezahltem, hartem Broterwerb, der seinen Fähigkeiten nicht
Weitere Kostenlose Bücher