Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
über den Rücken lief.
Der Brustkorb des Jungen hob und senkte sich in rascher Folge, dann brach es aus ihm heraus. »Zwei Nächte und einen ganzen Tag habe ich neben ihm gesessen. Dann wusste ich, dass ich allein weitermuss.«
»Wir können das arme Kerlchen unmöglich hier zurücklassen«, raunte Catlin Nigel zu. »Sein Vater hat ihn der Kirche anvertraut und glaubt ihn dort wohlbehalten.« Dann wandte sie sich wieder an den Jungen. »Weißt du, wohin dich der Prior bringen wollte?«
»In die Abtei zu Whittingham.« Corvinus hatte gerade erst aufgehört zu weinen, da schossen ihm schon wieder Tränen in die Augen. »Aber ich weiß nicht, wie man dahin kommt.« Er zog erneut laut die Nase hoch und bemühte sich verzweifelt um Haltung. »Und ich habe Hunger.«
»Ganz gleich, wo die Abtei liegt, wir bringen dich hin«, beruhigte ihn Nigel ohne Zögern. »Nicht wahr, Catlin?«
»Ja, das versprechen wir dir«, bestätigte Catlin und warf Nigel einen dankbaren Blick zu. »Wir haben Proviant dabei, komm und stärk dich erst einmal!« Sie legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter und zog ihn mit sich zu ihrem Pferd.
»Wie wär’s mit einer Rast?«, schlug sie Nigel vor und freute sich, als Corvinus heißhungrig Brot, Speck und den Apfel verspeiste, den ihr Begleiter aus dem Gepäck geholt hatte.
Die dunklen Tage im Kloster, als die Mönche einer nach dem anderen gestorben waren, würden dem mutigen kleinen Kerl wohl noch lange zu schaffen machen. Trotzdem hoffte Catlin, dass er sich nicht unterkriegen ließ.
»Ich habe vergessen, vor dem Essen zu beten!«, fiel es Corvinus plötzlich ein. Das schlechte Gewissen stand ihm ins bleiche Gesicht geschrieben, und schon wieder glänzten seine Augen.
»Gott wird dir vergeben, wenn du ihn darum bittest«, sagte Catlin gütig. »Komm, wir beten gemeinsam!«
Corvinus nickte brav und holte das Versäumte sogleich voller Inbrunst nach.
Catlin konnte nicht anders, als den Jungen ins Herz zu schließen. »Sieh nur, wie reizend er aussieht! So voller Unschuld«, sagte sie am Abend zu Nigel, als Corvinus selig und süß schlummerte, die geschürzten Lippen leicht geöffnet. Ein Zucken wie das Engelslächeln eines Säuglings umspielte seinen Mund.
»Ich hoffe, nach all dem Schrecklichen träumt er etwas Schönes.« Nigel rückte näher an Catlin heran. »Vielleicht träumt er von dir. Gewiss bist du ihm wie ein Engel erschienen.« Er sah Catlin eine Spur zu tief in die Augen.
»Du weißt wohl, dass ich den Glockengießer fragen werde, ob er mich heiratet – wenn ich ihn finde«, erwiderte sie ein wenig schroff. Ihre Worte stießen Nigel sicherlich vor den Kopf, doch ihm falsche Hoffnungen zu machen wäre nicht recht gewesen.
»Gewiss doch, ich weiß!« Nigel lachte scheinbar spöttisch auf. »Glaubst du etwa, ich … ich hätte mir etwas anderes erhofft?«, behauptete er einen Hauch zu heftig und rückte von ihr ab. »Es ist spät, lass uns schlafen!«, brummte er dann, angelte mit einem Stock zwei große Steine aus der Glut des heruntergebrannten Feuers und legte Holz nach. »Die Steine werden uns ein wenig wärmen«, erklärte er und legte sie rechts und links neben Corvinus. Dann streckte er sich neben dem Jungen am Fuß einer großen Eiche aus und machte es sich auf dem unebenen Boden so gemütlich wie möglich.
Catlin ließ sich auf der anderen Seite von Corvinus nieder und richtete sich ebenfalls ein, so gut es ging. Sie teilte ihre Decke mit dem Kleinen und legte schützend einen Arm um ihn.
»Morgen erkundige ich mich nach dem Weg zur Abtei«, murmelte Nigel, dann schliefen sie im Schein des Feuers ein.
Catlin erwachte mitten in der Nacht mit steifen Gliedern. In der Feuerstelle glomm nur noch wenig zartrote Glut, ringsum umgab sie tiefste Finsternis. Das Gras raschelte, und in der Ferne schrie eine Eule. Catlin wagte nicht aufzustehen, dabei wäre es ein Leichtes gewesen, das Feuer mit einigen trockenen Ästen wiederzubeleben. Zitternd vor Kälte schmiegte sie sich an Corvinus, der friedlich und gleichmäßig atmend schlief. Doch zur Ruhe kam Catlin nicht wieder. Wie ein verängstigtes Tier starrte sie mit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit, bis ihr Kopf schmerzte. Jedes Geräusch wurde durch die Schwärze der Nacht um ein Vielfaches verstärkt. Es knisterte und knackte im Unterholz, als schlichen wilde Tiere, Räuber, Hexen oder böse Geister um sie herum. Catlins Atem ging immer heftiger. Wie festgenagelt lag sie da und horchte. Auf dem Weg nach Norwich
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