Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
sich beileibe nicht allen einfachen Mönchen gleich in Bescheidenheit übten.
Die kleinen Gemeinden von Norwich aber, denen Nigel das gestohlene Geld brachte, waren keine Orte verschwenderischen Überflusses, sondern Begegnungsstätten für die Gläubigen. Sie kamen in den Kirchen zusammen, um gemeinsam zum Herrn zu beten und ihm zu huldigen, aber auch um Neuigkeiten auszutauschen und durch eine mehr oder minder hochherzige Gabe bessere Aussicht auf einen Platz im Paradies zu erwerben. Die meisten gaben, so viel sie konnten, doch es reichte nie aus, um die Ärmsten der Armen, Alte und Kranke zu versorgen. Darum war jeder zusätzliche Penny gern gesehen.
Als sie wenige Tage später alle Kirchen der Stadt aufgesucht, den Glockengießer jedoch noch immer nicht gefunden hatten, war Catlin ratlos und niedergeschlagen. Niemand hatte sich an den Mann erinnern können. Ob er überhaupt nach Norwich gekommen war? Allmählich zweifelte Catlin daran. Vielleicht hatte er im letzten Augenblick sein Ziel geändert. Oder aber er hatte von Norwich gesprochen, aber ein Dorf in der Nähe gemeint. Catlin drohte zu verzagen. Wo konnte er nur stecken?
»Was soll ich tun? Er kann überall sein.« Catlin sah Nigel hilflos an.
Der aber wusste keine Antwort und hob nur die Schultern.
»Aber ich muss ihn finden, hörst du? Ich muss!«
»Ich verstehe schon«, murmelte er und dachte einen Augenblick lang nach. »Sagtest du nicht, dass er später nach London gehen wollte?«
Catlin nickte, und eine Träne lief ihr über die Wange.
»Vielleicht solltest du dort nach ihm suchen.« Nigel zog die Brauen hoch und sah Catlin aufmunternd an.
»Und wenn er doch in einer anderen Stadt Arbeit gefunden hat? Dann kann es Monate oder gar Jahre dauern, bis er nach London aufbricht.« Mutlos senkte sie den Kopf. »Außerdem habe ich kein Geld für die Reise«, stammelte sie und wagte Nigel nicht anzublicken, damit er nicht glaubte, sie wolle ihn anbetteln. »Und ich wüsste auch nicht, wie ich allein in London zurechtkommen soll.«
»Also, erstens bin ich ein Ehrenmann und lasse dich nicht allein, und zweitens hatte ich ohnehin vor, in absehbarer Zeit im Haus meines Vaters vorstellig zu werden. In London sollen sie glauben, er habe mich geschickt, weil er selbst zu beschäftigt sei, und hier in Norwich, er habe mich aufgefordert, zu ihm zu kommen, um ihm bei seiner Arbeit zu helfen.« Nigel hielt den Kopf schief und lächelte Catlin an. »Was hältst du also davon, wenn wir uns Pferde mieten und reisen wie junge Kaufleute?«
»Aber das kostet doch ein Vermögen!«, stieß Catlin mit weit aufgerissenen Augen hervor.
»Grundgütiger, wenn das deine einzige Sorge ist!«, rief Nigel und grinste verschmitzt.
Catlin rang nach Atem. »Aber ich mag es nicht, wenn du stiehlst! Auch wenn du das Geld von den Reichen nimmst und mit den Armen teilst, so ist es doch Sünde.« Sie betete im Geist rasch ein Ave-Maria, wohl wissend, dass dies allein nicht ausreichte, um Vergebung für Nigels Seele erhoffen zu können.
»Lass uns die nötigen Vorbereitungen treffen«, schlug Nigel vor und lenkte von dem heiklen Thema ab. »Agatha und ihr Mann kümmern sich in meiner Abwesenheit um das Haus, so wie sie es schon früher getan haben. Früher«, fügte er nachdenklich hinzu, »als mein Vater noch lebte.« Er versuchte sich an einem Lächeln, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen. »Vielleicht ist er ja inzwischen längst nach London zurückgekehrt, und die Nachricht ist nur noch nicht hier eingetroffen.« Sein Gesicht hellte sich eine Spur auf.
Catlin nickte. Ganz ohne Hoffnung zu leben ist schwerer, als sich hin und wieder selbst zu belügen, dachte sie mitleidig.
In den darauffolgenden Tagen erzählte Nigel überall herum, sein Vater habe ihm eine Nachricht geschickt und erwarte ihn demnächst in London, wo er ihm bei seinen Geschäften helfen solle. Dann kaufte er Catlin einen gefütterten Mantel und warme Stiefel, denn der Winter war nicht mehr fern, und brachte eine stattliche Anzahl Silbermünzen zu einem Juden, der ihm dafür einen Wechsel ausstellte. Mit diesem würde Nigel in London bei einem Verwandten des Geldverleihers oder später, zurück in Norwich, wieder an sein Geld kommen.
»Wir brechen noch heute auf«, sagte er eines Tages beim Frühmahl und vergrub noch rasch vier silberne Teller, zwei Leuchter, eine Handvoll Schmuck von seiner Mutter und drei ungefasste Edelsteine in einer Truhe im Garten.
Er besorgte zwei Mietpferde, belud sie mit
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