Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
Vater, auf den Kaufmann, auf sich und die ganze Welt hatten sich mit Verzweiflung und dem abgrundtiefen Gefühl von Hilflosigkeit abgewechselt. Wie betäubt war er nach der Unterredung durch die Gassen der Stadt gestolpert, den Blick verschleiert, die Beine bleischwer. Vielleicht, so hatte er sich einzureden versucht, vielleicht war dies eine Prüfung des Herrn. Eine Gelegenheit, sich zu beweisen, vor Gott und vor seinem Meister. Und wieder hatten ihn in den folgenden Nächten Albträume gequält. Wenngleich Merilda nicht gewusst hatte, warum ihr Liebster wie schon so oft aufgelöst aus einem Traum hochgeschreckt war und wirres Zeug vor sich hin gestammelt hatte, so war sie doch bemüht gewesen, ihn zu trösten. Sie hatte ihn in die Arme geschlossen und zugelassen, dass er sich an ihre Brüste schmiegte, die prall vor Milch waren und zuweilen tropften, obgleich das Kind noch nicht auf der Welt war. Und als er daran genuckelt hatte wie ein Säugling, hatte sie ihn nur lachend gescholten, er solle seinem ungeborenen Sohn nicht die Milch rauben.
»Mein Sohn«, murmelte Randal bei dem Gedanken daran. Seine Mundwinkel zuckten. Er wurde Vater wie sein Vater vor ihm und davor dessen Vater. Was aber bedeutete das? Wie musste ein Vater sein? Undeutliche Bilder aus seiner Kindheit tanzten vor seinem inneren Auge umher. Erinnerungen an gute Tage mit seinem Vater, wenn Randal ihm Essen und Dünnbier aufs Feld gebracht hatte, damit er sich in der Mittagszeit stärken konnte. Auch glaubte er sich daran zu erinnern, wie er auf den Knien des Vaters gesessen und die Fingerchen in den wirren Bart des hünenhaften Mannes gekrallt hatte, bis er dafür gescholten worden war. Bilder von seinem Meister, gute und weniger gute Erinnerungen, drängten sich dazwischen, bis Randal am ganzen Leib zitterte.
Er musste zeigen, wozu er fähig war. Bis der Meister endlich begriff, was er getan hatte, ihm verzieh, ihn anerkannte und mehr noch – zu ihm aufsah, ihn wertschätzte, vielleicht gar fürchtete. Randal wusste, dass es nur einen Weg gab. Er musste die Töpferei um jeden Preis zurückbekommen. Besser noch, die Glockengießerei musste sein Eigen werden.
»Eines Tages gehört die Werkstatt mir, das verspreche ich dir«, raunte er und zog sein Eheweib an sich. Die Weichheit ihres zarten Körpers verlieh ihm Kraft. Mit geschlossenen Augen hielt er sich an ihr fest. Ihr Bauch war so fest an seinen Leib gepresst, dass er die Bewegungen des Kindes ganz deutlich spürte. Mein Sohn, dachte er voller Stolz. »Wir müssen für eine Weile fortgehen«, flüsterte er Merilda ins Ohr.
»Weg aus London?« Sie starrte ihn erschrocken an. »Wohin?« Tränen schossen ihr in die Augen.
»Nach Oxford«, antwortete Randal sanft und wischte mit dem Daumen über das feuchte Rinnsal auf ihrer Wange. »Dort kenne ich einen Meister, der mir Arbeit geben wird.«
»Und meine Schwestern? Meine Mutter?« Merilda betrachtete ihn mit tränengefüllten Augen. Nach ihrem Vater fragte sie nicht, denn der spielte und soff, sobald er auch nur einen Penny in den Fingern hatte, und lebte wie ein Bettler in der Gosse.
»Sie kommen sicher eine Zeit lang ohne uns zurecht«, versuchte Randal sie zu beruhigen und streichelte ihr über die Wange. Merildas Mutter und zwei ihrer Schwestern hatten Arbeit als Mägde gefunden. Sie würden sich und die beiden jüngeren Geschwister wohl durchbringen. »So bald wie möglich kehren wir zurück«, versprach Randal und versuchte sich vorzustellen, wie er eines Tages den Schlüssel zur Werkstatt in der Hand hielt, ihn ins Schloss steckte und die Tür zu seiner Glockengießerei öffnete. Auf Händen würde er Merilda über die Schwelle tragen.
Der Himmel sah ebenso unentschlossen aus, wie Catlin sich fühlte. Graue Wolkentupfer zogen langsam gen Westen, nicht bedrohlich dunkel und schwer, als zöge ein nachösterliches Unwetter auf, sondern wollig und luftig wie Schäfchen, die der Himmelshirte über das strahlend blaue Firmament zur Weide führte. Die Sonne hatte zur Feier des Tages ihr schönstes, leuchtend gelbes Kleid angezogen und bemühte sich redlich, ein wenig Frühlingswärme in die dunklen Gassen der Stadt zu schicken. Als aber ein frischer Wind den Staub der Straße aufwirbelte, lief Catlin ein Schauder über den Rücken. Das war er nun also. Der Tag, der sie zur Frau des Glockengießers machen sollte.
Der Priester von St. Mary, einer winzigen Kirche im Norden der Stadt, würde ihren Bund fürs Leben segnen, so war es
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